Der seit 25 Jahren bestehende enge Zusammenhang zwischen dem Leistungsbilanzsaldo und Verbraucherpreisindex (Inflation) hat sich in 2022 deutlich gelockert (zum Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit).
Die Leistungsbilanz umfasst alle Ausgaben und Einnahmen einer Volkswirtschaft, darunter auch die Importe und Exporte von Gütern und Dienstleistungen in der volkswirtschaftlichen Zahlungsbilanz. Sie ist ein Teil der Zahlungsbilanz. Der Saldo der Leistungsbilanz ist eine Kennzahl zur Bewertung der Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Ist der Saldo positiv, dann spricht man von einem Überschuss, im negativen Fall, von einem Leistungsbilanzdefizit.
Zu Beginn des Betrachtungszeitraums 1996 bis 2022 gab es häufiger ein Leistungsbilanzdefizit, denn nach dem Wiedervereinigungsboom gab es Überkapazitäten und eine Strukturkrise in Ostdeutschland. In 2001 platze die „Dotcom-Blase“, der eine Zeit starken Exports folgte. Danach ging der Überschuss während des Ölpreisanstiegs zurück. Nach dem September 2001 war mit zwei Ausnahmen in 2003 der Leistungsbilanzsaldo stets positiv. Im September 2022 betrug er noch 14,8 Mrd. Euro. Dies ist vor allem den Importen von gestiegenen Energiepreisen geschuldet.
Die Preisniveaustabilität für Deutschland wird anhand des Verbraucherpreisindex (VPI) beobachtet. Angestrebt wird eine Situation, wonach sich der konsumierte Warenkorb für einen „DurschschnittsverbraucherIn“ nicht verteuert. Die Preise des Warenkorbs werden in eine Indexreihe umgesetzt (Basisjahr derzeit 2015). Die Veränderung des Verbraucherpreisindex zum Vorjahresmonat bzw. zum Vorjahr wird als Teuerungsrate oder als Inflationsrate bezeichnet. Zum Vergleich mit dem Ausland wird der VPI harmonisiert.
Die Inflationsrate lag im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung über 2 %. Mit dem Ende des Wiedervereinigungsboom war die Preisniveaustabilität seit 1996 mehr oder weniger regelmäßig gegeben. Ausnahmen waren die Finanzmarktkrise 2005/2006 und die Eurokrise 2015. Permanente Leistungsbilanzüberschüsse können problematisch werden und zu außenwirtschaftlichen Spannungen (z. B. „Export von Arbeitslosigkeit“, „Strafzölle“ der USA gegen die EU) führen.
Der Zusammenhang zwischen Leistungsbilanzsaldo und Verbraucherpreisindex ist positiv, d. h. je höher der Überschuss, umso größer ist der VIP-Wert. Dieser Zusammenhang löst sich 2022 deutlich auf (Werte innerhalb der roten Linie sind alle aus 2022). In 2022 sank der Überschuss stark (Mittelwert 2022: 11,2 Mrd. Euro, 2021: 22 Mrd. Euro) und der VPI nahm beschleunigt zu (VPI 9/2022: 122,1; 9/2021: 110,1; 9/2020: 104,7, 9/2019: 105,4). Hier spielen der Krieg gegen die Ukraine und steigende Energiekosten sicherlich die bestimmende Rolle.
Damit ist zumindest in 2022 die Preisstabilität nicht mehr gegeben und der Leistungsbilanzüberschuss könnte in ein Defizit umschlagen. Die Benachteiligten von einer gestiegenen Inflation sind vor allem Lohn- und GehaltsempfängerInnen sowie Transferleistungsbeziehende (Bafög-Beziehende, Bürgergeld-Beziehende u. a.), deren Einkommen erst mit Verzögerung an die Preissteigerung angepasst werden kann (wenn sie es denn wird). Wenn der „Export von Arbeitslosigkeit“ weniger gelingt, müsste in Deutschland mehr investiert werden, um Arbeitslosigkeit abzubauen.