Mit Beginn der Ankunft der ersten Flüchtlinge aus der Ukraine wurde von Politik und Medien der hohe Anteil der akademischen Bildung unter ihnen hervorgehoben. Eine Umfrage des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat unter den Ankömmlingen ergabt einen sehr hohen Anteil von 73 Prozent mit einem Hochschulabschluss (Foliensatz „Geflüchtete aus der Ukraine“ zum Pressegespräch am 4.4.2024). Diese Zahl wurde danach sehr verbreitet. Im IAB-Forschungsbericht 4/2022 ist zu lesen: „Vor dem Hintergrund des ohnehin hohen durchschnittlichen Bildungsniveaus in der Ukraine können wir also davon ausgehen, dass die Geflüchteten aus der Ukraine sehr gut qualifiziert sind, auch wenn diese Qualifikationen aufgrund der Unterschiede der Bildungssystems nicht identisch mit den beruflichen Qualifikationen in Deutschland sind.“ (S. 13)
Wie sieht die Entwicklung der Bildungsstruktur aus?
Weiterlesen: Bildungsstruktur ukrainischer Flüchtlinge im SGB II 2025Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) hatte im Zeitraum März 2022 bis März 2024 keine Daten für die Merkmale letzte abgeschlossene Berufsausbildung und Schulbildung berichtet. Grund dafür war der hohe Anteil unvollständiger Angaben für ukrainische Staatsangehörige, der die Aussagekraft der Statistik eingeschränkt hätte.
Im April 2024 wurde die Berichterstattung zur Bildung wieder aufgenommen. Im Folgenden wird die Verteilungen der beruflichen Bildung nach dieser Statistik dargestellt.
Die Daten beziehen sich auf den Bestand zwischen April 2024 und Januar 2025 an gemeldeten, arbeitslosen erwerbsfähigen Personen im Rechtskreis SGB II mit ukrainischer Staatsangehörigkeit. Es handelt sich um 201.588 Personen im Januar 2025. Ohne die Einschränkung mit dem Merkmal „arbeitslos“ sind es 516.029 Personen.
Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen im Januar 2025 hat keine Berufsausbildung oder die Angabe dazu fehlt. Eine Aufschlüsselung wird nicht veröffentlicht. Fast ein Viertel verfügt über eine betriebliche oder schulische Ausbildung. Rund ein Fünftel hat einen Hochschulabschluss. Der Anteil der Flüchtlinge mit Hochschulabschluss weicht deutlich von dem erwarteten Anteil (z. B. 73 %) ab.

Auffällig an der Zeitreihe ist, dass sich die Struktur der Bildung ukrainischer Flüchtlinge im SGB II kaum verändert hat. Diese Konstanz (diese ist bei der Schulbildung in gleicher Weise gegeben) könnte problematisch sein:
- Möglicherweise hat sich die Datenqualität (fehlenden Angaben zum Berufsabschluss in der Statistik) nicht verbessert. Ansonsten wäre ein separater Ausweis von fehlenden Angaben zu erwarten (wie beim Schulabschluss, hier 14 %).
- Offensichtlich scheint nach fast drei Jahren Aufenthalt der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland die Verfahren zur Anerkennung beruflicher Abschlüsse nicht zu höheren Anteilen mit beruflichen oder akademischen Abschlüssen geführt zu haben. Dabei können in einigen Regionen der Ukraine Hochschulabschlüsse nach dem Bachelor-System erworben werden. Bei ihnen dürfte die Dauer der Anerkennung keine Rolle spielen. Vermutlich ist das Anerkennungsverfahren nicht optimal.
- Die Vermittlungs- und Unterstützungsaktivitäten (einschließlich der Förderung beruflicher Bildung), insbesondere durch den Job-Turbo für Flüchtlinge, haben nicht dazu geführt, dass die arbeitslosen Flüchtlinge aus der Ukraine mit akademischer Ausbildung in einem so großen Umfang Arbeit aufgenommen haben, dass dies Einfluss auf die Struktur gehabt hätte. Es ist davon auszugehen, dass Hindernisse wie Kinderbetreuung und Deutschkenntnisse weiterhin in hohem Maß bestehen.
Fazit
Die vorgenannten Beobachtungen verweisen auf dringenden Handlungsbedarf (Anerkennungsverfahren, Validierung non-formaler Kompetenzen, Spracherwerb, Kinderbetreuung). Unter Berücksichtigung der (geringen) Abgangsraten der Ukrainerinnen und Ukrainer aus Arbeitslosigkeit im SGB II in Arbeit (siehe Hammer 2024: Beschleunigt der Job-Turbo die Arbeitsaufnahme von Flüchtlingen im Bürgergeld-Bezug? https://kurzlinks.de/xhux) sollten Erwartungen an eine schnelle Vermittlung überprüft und die Strategien der Integration in den Arbeitsmarkt mit den dafür nötigen Ressourcen angepasst werden.
Diese Bildungsstrukturen geben einen Hinweis auf die Größe des Fachkräftepotenzials arbeitsloser Personen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit mit Leistungsbezug des Bürgergeldes. Der Umfang liegt um die 48 Prozent. In absoluten Zahlen könnten es rund 97.000 Fachkräfte (Januar 2025). Die Größe des Fachkräftepotenzials hängt allerdings auch von den deutschen Sprachkenntnissen ab. Selbst wenn sich hinter dem Merkmal „ohne Angabe“ weitere Fachkräfte verbergen, ist zumindest aus Sicht der Arbeitgeber bzw. der Arbeitsvermittlung von mangelnden Deutschkenntnissen auszugehen. Der Weichenstellung in den Arbeitsmarkt führt dann tendenziell in den Helferbereich.
Hinweise zur Interpretation der Daten
Bei den Personen in dieser Statistik muss es sich nicht zwangsläufig um Flüchtlinge handeln, die seit 2022 in Folge des Krieges gegen die Ukraine geflüchtet sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die meisten Personen im Bestand einen Fluchthintergrund haben.
Zudem ist bei der Interpretation zu beachten, dass sich durch die Reduzierung des Anteils fehlender Angaben die Anteile der anderen Merkmalsausprägungen verschieben können.
Die Statistik der BA kann außerdem nur bei den als reglementiert gekennzeichneten Ausbildungen unterscheiden, ob der im Ausland erworbene Ausbildungs- oder Studienabschluss in Deutschland anerkannt wurde oder nicht. Die übrigen im Ausland erfolgreich abgeschlossenen Ausbildungsabschlüsse werden als schulische, betriebliche oder akademische Ausbildungen ausgewiesen. Daraus ergeben sich Unterzeichnungen der in Deutschland nicht anerkannten Berufsabschlüsse.
Im Jahr 2022 wurden über 1.450 Anträgen auf Anerkennung ukrainischer Qualifikationen gestellt.
Weitere Beiträge zu Flüchtlingen aus der Ukraine: https://kurzlinks.de/bxtf
Update des Beitrags vom 4.5.2024