Staatsausgaben und Sozialleistungen – zu hoch?

Die Kritik an den zu hohen Staatsausgaben und den Sozialleistungen, besteht seit dem es eine Demokratie und einen Sozialstaat gibt. Sie hat nun erneut Eingang in einen Koalitionsvertrag gefunden, diesmal in den von CDU, CSU und SPD.

Wie sehen die Fakten zu Staatsausgaben und Sozialleistungen aus?

Weiterlesen: Staatsausgaben und Sozialleistungen – zu hoch?

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland ist seit 1960 kontinuierlich sehr stark gewachsen – lediglich während der Eurokrise um 2009 und der Corona-Pandemie gab es kurze, geringe Rückgänge.

Im Gegensatz zum BIP hat sich der Anteil der gesamten öffentlichen Ausgaben (Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherung) am Bruttoinlandsprodukt (Staatsquote) entwickelt. Der langfristiger Trend ist abwärts gerichtet . Ausnahmen sind bei der Übernahme des Treuhandververmögens (1995; Folge des Beitritts der DDR), der Eurokrise und der Corona-Pandemie zu beobachten. Der Spitzenwert von 1995 wurde seitdem nie mehr erreicht.

Quelle der Daten: Bundesministerium für Arbeit und Soziales; und eigene Berechnungen

Die Sozialleistungen sind seit 1960 absolut ebenfalls gestiegen, allerdings deutlich geringer als die gesamten öffentlichen Ausgaben.

Die Sozialleistungsquote in Deutschland, also der Anteil der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), hat sich ähnlich wie die Staatsquote – deren Teil sie ist – entwickelt: in Krisenphasen wie der Erdölkrise in der ersten Hälfte der 1970er Jahre, der Eurokrise und der Corona-Pandemie bildeten sich Ausschläge nach oben. Zwischen 2004 und der Eurokrise ist die Sozialleistungsquote sogar gefallen, möglicherweise anteilig ein Ergebnis der sog. Hartz-Reformen. Der Spitzenwert in der Zeitreihe lag im Jahr 2020 (Pandemie) und seitdem geht die Sozialleistungsquote wieder zurück. Selbst im Jahr der Zuwanderung von Flüchtlingen aus der Ukraine war keine Steigerung zu erkennen. Der geschätzte Werte für 2023 liegt unter dem Niveau der Vor-Pandemiejahr.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Ausgaben der Sozialversicherung in den volkswirtschaftlichen Rechnungen zur Staatsquote und der Sozialleistungsquote hinzu gerechnet werden. Dies ist irreführend. Die Sozialversicherungsbeiträge gelten als „Lohnnebenkosten“, die der Arbeitgeber für die leistungsberechtigten Beschäftigten bezahlt. Der Staat tätigt diese Ausgaben nicht und hat auch nicht den unmittelbaren Nutzen des Verbrauchs, sondern koordiniert lediglich das Sozialversicherungssystem.

Rechnet man die Ausgaben für die Sozialversicherung aus der Staatsquote heraus, dann verändert sich zwar nicht die Entwicklung (Abwärtstrend seit 1995, krisenbedingte Erhöhungen), aber das Niveau der unverfälschten Staatsquote liegt deutlich niedriger (um 18,7 Prozentpunkte im Mittel seit 1960). Statt 48,5 Prozent beträgt sie im Jahr 2023 nun noch 29 Prozent. Das entspricht rund 60 Prozent des ursprünglichen Wertes für dieses Jahr.

Kürzungen bei den Sozialleistungsausgaben werden in der Regel mit den hohen Staatsausgaben begründet. Wie gezeigt, ist der Trend abwärts gerichtet und insofern die Kritik an diesen Ausgaben nicht gut belegt. Eine positive Veränderung der Sozialleistungsquote gegenüber dem Vorjahr wirkt sich nicht signifikant auf das Wachstum des BIP aus. Außerdem zeigt das Wachstum des BIP (trotz steigender Sozialleistungen), dass die Mittel für öffentliche und Sozialleistungsausgaben vorhanden sind, wenn die Bundesregierung das BIP-Wachstum anders verteilen würde.

Veröffentlicht unter Bürgergeld, Ökonomie, SGB II | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Welche Komponenten des Haushalts für die Jobcenter ändert der Koalitionsvertrag?

Die folgende Übersicht zeigt die im Koalitionsvertrag genannten Änderungen für den Haushalt der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit einer kurzen haushaltsbezogenen Bewertung. Quantitative Größen sowie Eintrittswahrscheinlichkeit und -zeitpunkt der Veränderungen lassen sich dem Koalitionsvertrag nicht entnehmen.

Weiterlesen: Welche Komponenten des Haushalts für die Jobcenter ändert der Koalitionsvertrag?

KomponenteKurzbewertung
Einmalige Mehrkosten
Das bisherige Bürgergeldsystem gestalten wir zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende um.
Prozesse müssen digitalisiert werden.Neben IT-Kosten: Bindet Personal
Laufende Mehrkosten
Hinzuverdienstregeln und Transferentzugsraten reformieren durch Verzicht auf Anrechnung und durch mehr Leistungsberechtigte (s. https://kurzlinks.de/4mv0),
zukünftig erhält jede Person ein persönliches Angebot der Beratung, Unterstützung und Ver­mittlungmehr Personalaufwand
bessere Gesundheitsförderung und Reha-Maß­nahmenerfordert im SGB II andere Instrumente; für Reha sind Jobcenter nicht mehr zuständig
Die Höhe des Schonvermögens koppeln wir an die Lebensleistung.Zusätzlicher Prüfaufwand der Lebensleistung ggü. der aktuellen und früheren Regelung.
Wir wollen junge Menschen beim Einstieg in das Berufsleben unterstützen. Hierzu werden wir eine Qualifizierungsoffensive voranbringen.Mehr Personalaufwand, mehr Maßnahmenplätze erforderlich; Jobcenter sind nicht mehr für Qua­lifizierungen zuständig
Mindereinnahmen
Keine zusätzlichen Verwaltungsmittel erwähntWeiterhin Umschichtungen nötig. SPD Position 1 Mrd. zusätzlich für Leistungen zur Eingliede­rung wurde nicht übernommen;
Reduzierung aller sächlichen Verwaltungsausga­ben aller Einzelpläne (Sicherheitsbehörden aus­genommen) mit dem Ziel eines Abbaus von zehn Prozent bis 2029Das ist die Ankündigung einer Kürzung der Ver­waltungsmittel auch im SGB II. Weiterhin Um­schichtungen nötig.
Wir werden den Anpassungsmechanismus der Regelsätze in Bezug auf die Inflation auf den Rechtsstand vor der Corona-Pandemie zurück­führen.Rechtsstreitanfällig
Wir wollen vor allem den Aufwuchs der kon­sumtiven Ausgabereste in den Einzelplänen wirksam eindämmen.Seit einigen Jobcenter erhalten jedes Jahr einige Hundert Millionen Euro an Ausgaberesten aus dem Vorjahr für Eingliederungsleistungen im ak­tuellen Haushaltsjahr. Werden diese gekappt, falls sie als konsumtiv eingestuft werden, sinkt der Eingliederungstitel deutlich.
Mehreinnahmen
Wir werden den Passiv-Aktiv-Transfer gesetz­lich verankern und ausweiten. PAT sind Mehreinnahmen der Jobcenter im Ein­gliederungstitel (vgl. https://kurzlinks.de/8jc7). Das bisherige PAT-Volumen wurde nicht ausge­schöpft. Eine Ausweitung auf §16e SGB II wäre aufgrund der kleinen Fallzahl irrelevant. Größe­re Fallzahl nur bei Eingliederungszuschüssen. Bei gleichbleibender Konstruktion vermutlich kein großer Effekt.
Minderausgaben
Einsparungen beim Bürgergeld durch eine re­formbedingt und zu erwartende bessere Arbeits­marktintegration.Eine Gegenfinanzierung / Haushaltskonsolidie­rung von Zusagen aus dem System selbst heraus (mehr Sanktion, mehr Vermittlung, schnellere Vermittlung) hat bisher nicht funktioniert (siehe auch https://kurzlinks.de/dq3k). Das hat zuletzt die Umsetzung des Jobturbo für Flüchtlinge ge­zeigt (s. https://kurzlinks.de/l02d).
Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern verschärfen. Sanktionen müssen schnel­ler, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden können. Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit ver­weigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen. Vermutlich nur kleine Größenordnung, da recht­liche Beschränkungen. Vgl. auch https://kurzlinks.de/3nd8 und https://kurzlinks.de/gkfo
Wir werden die Karenzzeit für Vermögen ab­schaffen.Vermutlich kleiner Effekt, da bisher keine gro­ßen Fallzahlen
Dort, wo unverhältnismäßig hohe Kosten für Unterkunft vorliegen, entfällt die Karenzzeit.Rechtsstreitanfällig, wenn Miete zwar unter Mietobergrenze liegt, aber trotzdem keine Woh­nung verfügbar ist.
Offen
Wir wollen sicherstellen, dass die Jobcenter für die Eingliederung ausreichend Mittel zur Verfü­gung gestellt bekommen.„Ausreichend“ kann hergestellt werden durch zusätzliche Mittel oder durch Reduzierung der Bestandszahlen (z. B. durch Sanktion usw.) bei konstantem Eingliederungstitel.

Die geplanten Änderungen werfen einige Probleme auf.

  • Alle Mehrausgaben stehen unter Finanzierungsvorbehalt.
  • Viele Aussagen sind vage (z. B. ausreichende Mittelausstattung).
  • Einige Vorhaben sind aufgrund von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts rechtlich schwierig umzusetzen (auch schwierig in der Ermessensausübung im Jobcenter). Äußerungen von Politikern in den Medien deuten darauf hin, dass die neue Regierung das Risiko eingeht, vor dem BVerfG zu verlieren, ggf. müssen die Änderungen zurückgenommen werden (erhöhter Verwaltungsaufwand).
  • Es ist unklar, wann was umgesetzt werden soll (Zeitplan). Wenn „jede Person zukünftig ein persönliches Angebot der Beratung, Unterstützung und Vermittlung erhält“ und gleichzeitig die Digitalisierung der Prozesse umgesetzt werden soll, werden einige Jobcenter aufgrund der Bindung von Personal für diese Aufgaben eines der Ziele nicht erreichen können.
  • Einige der angekündigten Verbesserungen fallen in den Zuständigkeitsbereich des SGB III oder anderer Rechtskreise (Gesundheit, medizinische Rehabilitation), auch wenn sie im Koalitionsvertrag im Abschnitt Grundsicherung aufgeführt sind.
  • Die Personal- und Sachkosten für die Veränderungen im Guten wie im Schlechten stehen im Widerspruch zur angekündigten Kürzung der sächlichen Verwaltungsausgaben und der unklaren Mittelausstattung für die Eingliederungsmittel.
  • Es besteht die Gefahr einer zu optimistischen Berechnung der Mehr- und Minderausgaben. Es ist fraglich, ob die Minderausgaben größer sind als die Mehrausgaben, um die angekündigte Kürzung der Mittel im SGB II zu realisieren.

Fazit

Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD bedeutet für die Jobcenter und Träger eine erhebliche Unplanbarkeit in Bezug auf Zeit, Personal und Leistungen zur Eingliederung in Arbeit sowie Rechtsunsicherheit.

Unklar sind zudem die Prioritäten der Änderungen. Man kann sich allenfalls an der Klassifizierung „wir werden“, „wir müssen“ und „wir wollen“ orientieren.

Der Vergleich des Koalitionsvertrages mit dem entsprechenden Ergebnispapier aus den Koalitionsverhandlungen zeigt, dass die meisten strittigen Punkte ausgeklammert wurden. Die geplante Koalition riskiert damit Streit während der Legislaturperiode in einem hochpolitischen Politikfeld.

Mit der Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 voraussichtlich im 2. und 3. Quartal 2025 kann der Koalitionsvertrag besser bewertet werden.

Veröffentlicht unter AsylbLG, Bürgergeld, Gesundheit, Ökonomie, Reha, SGB II | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Koalitionsverhandlungen von Union und SPD zur Grundsicherung für Arbeitsuchende

Nachfolgend sind einige Themen aus dem Ergebnispapier der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD zur Grundsicherung für Arbeitsuchende aufgeführt.

Krankenkassenkosten

Konsens in den Koalitionsverhandlungen ist die vollständige Übernahme der Krankenkassenkosten der Bürgergeld-Leistungsberechtigten aus Steuermitteln. Das ist positiv zu bewerten.

Seit 20 Jahren zahlen die Jobcenter nur eine unzureichende Pauschale an die Krankenversicherungen. Den Rest zahlen die BeitragszahlerInnen mit ihren Löhnen und finanzieren damit eine gesellschaftliche Aufgabe. Nicht-Beitragspflichtige (z. B. Minijob, Nichterwerbstätige) wurden geschont.

Dabei geht um es enorme Summen: Schätzungen für das Jahr 2022 gehen von einer Finanzierungslücke von 9,3 Mrd. Euro aus.

Die Arbeitsgruppe in den Koalitionsverhandlungen kalkuliert mit zusätzlichen 10 Mrd. Euro pro Jahr zu der bisherigen Kostenübernahme und zwar konstant für die gesamte Legislaturperiode. Dabei wird offenbar unterstellt, dass die Kosten der Krankenkassen für die Bürgergeldberechtigten über vier Jahre konstant bleiben und/oder die Zahl der Berechtigten nicht steigt.

Eine Folge der geplanten Änderung ist, dass der SGB II-Ansatz im Bundeshaushalt bereits für 2025 allein dafür um 10 Mrd. Euro steigen muss. Da die Union deutliche Kürzungen beim Bürgergeld angekündigt hat, steht eine Erhöhung in dieser Größenordnung im Widerspruch dazu.

Es wird bis zum Haushaltsbeschluss darauf zu achten sein, dass 1. nicht nur Beitragszahlende, sondern alle Steuerpflichtigen die Krankenkassenleistungen für Bürgergeld-Leistungsberechtigten schultern, und 2. die für diesen Zweck nötige Summe von 10 Mrd. Euro pro Jahr zweckgebunden in den Bundeshaushalten zusätzlich eingestellt wird.

Dann bleibt zu prüfen, ob eine Erhöhung der SGB II-Haushaltsposition nur dafür da ist, oder ob auch mehr Mittel für Eingliederung in Arbeit und personal vorgesehen wird.

Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt

Im Ergebnispapier der Koalitionsgruppe „Arbeit und Soziales“ ist „die schnelle und nachhaltige Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt mit einer Verbindung aus früher Arbeitserfahrung, berufsbegleitendem Spracherwerb und berufsbegleitender Weiterbildung/Qualifizierung“ Konsens.

Was beim Job-Turbo für Flüchtlinge nur bedingt funktioniert hat (https://kurzlinks.de/crzo), soll nun „dauerhaft vorangebracht“ werden. Frühe Arbeitserfahrung heißt schnelle Vermittlung in Arbeit und nicht bestes matching; berufsbegleitender Spracherwerb oder Weiterbildung setzt die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit sowie entsprechende Finanzmittel voraus.

Wenn die „Koalitionäre“ das tatsächlich umsetzen wollen, dann erfordert das eine erhebliche Ausweitung gegenüber dem bisherigen Status quo.
Die Umsetzung erfolgt aktuell aus drei Zuständigkeiten:
– Vermittlung durch Jobcenter,
– Spracherwerb über BAMF und
– Qualifizierung über die Agentur für Arbeit (SGB III).

Wenn an anderer Stelle mehrfach die „Leistung aus einer Hand“ postuliert wird, dann sollten die drei genannten Elemente beim Jobcenter gebündelt werden.

Hinzuverdienstregeln und Transferentzugsraten

Die CDU, CSU und SPD sind einem Ergebnispapier der Koalitionsverhandlungen nach einig, die Anreize für Sozialleistungsberechtigte ein höheres Erwerbseinkommen zu erzielen oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, zu stärken und dazu die Hinzuverdienstregeln und Transferentzugsraten anzupassen. Das hatte die Ampel-Regierung auch zum Ziel (s. https://kurzlinks.de/4mv0).
Damit wird den Wählerinnen und Wählern deutlich gemacht, dass Arbeitslose wegen unzureichende Arbeitsanreizwirkungen keine Beschäftigung aufnehmen.
Durch die Verbesserung des Hinzuverdienstes und der Transferentzugsraten würde die Zahl der Leistungsberechtigten unter sonst gleichen Bedingungen erhöht werden. Das SGB II würde demnach teurer werden als das bisherige System. Deshalb sind einer faktischen Erhöhung der Anreize auch Grenzen gesetzt.
Es soll auch lediglich der Zuverdienst verbessert werden, statt Schritte auf dem Weg zur existenzsichernden Beschäftigung einzuschlagen.
Im Übrigen würde es für alle Arbeitslosen, gesetzt den Fall, alle würden arbeiten wollen, gar nicht genügend offene Stellen.

Die vorgeschlagenen Lösungen scheinen wie bei den bisherigen Regierungen eher Teil des Problems zu sein und werden weder Massenarbeitslosigkeit noch prekäre Arbeit wirksam abbauen.

Strittige, haushaltsrelevante Punkte

Im Ergebnispapier der Koalitionsgruppe „Arbeit und Soziales“ ist seitens der SPD mindestens 1 Mrd. € zusätzlich für die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit für die Jobcenter erwähnt. Und seitens der CDU/CSU ist die Rückverlagerung der Zuständigkeit für FbW und Reha an die Jobcenter eingebracht. Käme beides, hätten die Jobcenter nicht mehr Mittel zur Verfügung, da die 1. Mrd. € für FbW und Reha benötigt werden würden.

Veröffentlicht unter Bürgergeld, Flüchtlinge, Fort- und Weiterbildung, Ökonomie, Reha, SGB II | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Wie wirken sich die Verwaltungskosten der Jobcenter auf ihre Vermittlungsquote aus?

Im Kontext von „Sparvorschlägen“ wurde von verschiedenen Akteuren (Bertelsmann Stiftung 2025, Bundesrechnungshof 2023) Kritik an der Effizienz der Jobcenter publiziert.

Beispielsweise wird im Bertelsmann Stiftung-Papier für das SGB II unterstellt, dass

  • 1. in den letzten Jahren sind die Verwaltungskosten (VK) je Bedarfsgemeinschaft (BG) gestiegen sind (vor allem durch Umschichtung aus dem Eingliederungstitel – Budget der Jobcenter für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit – zu den Verwaltungskosten),
  • 2. in den letzten Jahren die Vermittlungsquoten (VQ) der JC gesunken sind.

Steigende Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft gehen demnach mit gesunkenen Vermittlungsquote einher.

Schlussfolgerung dieser Kritik:

  • • Jobcenter sind weniger effizient geworden.
  • • Nötig ist Änderung der Jobcenter bzw. des Bürgergeldes.

Dieser Kritik wird im folgenden nachgegangen und der Einfluss der Verwaltungskosten auf die Vermittlungsquote im SGB II exemplarisch geprüft.

Frage

Wie ist der Einfluss der Einfluss der Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft (VK) auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gemessen an der Vermittlungsquote (VQ).

Weiterlesen: Wie wirken sich die Verwaltungskosten der Jobcenter auf ihre Vermittlungsquote aus?

Daten

Die zugrunde liegenden Daten basieren auf dem Jahr 2022 und 380 Jobcentern (für die übrigen waren die Daten nicht ausgewiesen). Sie wurden von der Statistik der Bundesagentur für Arbeit bereitgestellt. Berücksichtigt wurden Ist-Zahlen, d. h. es wurden nicht veranschlagte Umschichtungen (Plan) berücksichtigt, sondern die tatsächlichen.

Verwaltungskosten enthalten die Personalkosten und Sachkosten (Räume, Ausstattung usw.), die sowohl für die Gewährung der Leistungen als auch für die Eingliederung in Arbeit anfallen sowie die Verwaltungskosten im engeren Sinne (Personalkosten und Sachkosten für die Lohnabrechnung für die Beschäftigten der Jobcenter usw.). Der größte Teil sind also Beratungskosten. Die Spanne in den Daten reicht von 1.055 Euro bis zu 5.406 Euro je Bedarfsgemeinschaft. Der Mittelwert beträgt 2.205 Euro je Bedarfsgemeinschaft.

Vermittlungsquote ist das Verhältnis der Zahl der Arbeitslosen, die in eine nicht geförderte Beschäftigung nach Auswahl und Vorschlag des Jobcenters vermittelt wurden, zu der Zahl aller Abgänge aus Arbeitslosigkeit in eine nicht geförderte Beschäftigung. Andere Vermittlungen werden damit nicht berücksichtigt. Die Spanne in den Daten reicht von 0,5 Prozent bis zu 80,5 Prozent je Bedarfsgemeinschaft. Der Mittelwert beträgt 7,7 Prozent bei 395 Jobcentern.

Ergebnis

Der Zusammenhang von Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft und Vermittlungsquote ist im Jahr 2022 leicht positiv, d. h. steigende Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft haben einen positiven Einfluss auf die Höhe der Vermittlungsquote. Demnach sind hohe Verwaltungskosten im Jahr 2022 nicht negativer für die Vermittlungsquote als niedrige Verwaltungskosten.


Bei durchschnittlichen Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft von 2.205 Euro ergibt sich eine Vermittlungsquote von 7,3 %. Bei Verwaltungskosten von 2.000 Euro liegt die Vermittlungsquote bei 6,7 % und bei Verwaltungskosten von 2.400 bei 8 %.

Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft und Vermittlungsquote (2022)

Allerdings ist die Erklärungskraft gering. So weisen Jobcenter mit Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft um die 2.000 Euro fast die gleiche Bandbreite an Vermittlungsquoten auf wie diejenigen mit über 2.500 Euro.

Die Erklärungskraft des Modells lässt sich verbessern, wenn weitere Einflussgrößen dazugenommen werden. Solche Moderatorvariablen beeinflussen Stärke, Signifikanz und Richtung des Zusammenhangs von zwei anderen Variablen, hier Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft und Vermittlungsquote.

Eine zentrale Einflussgröße ist die Änderung des Bestands an Langzeitleistungsbeziehenden (Kennzahl K3 im gesetzlichen Zielsteuerungssystem). Sie schwächt die Wirkung des Kosteneinflusses auf die Vermittlungsquote stark ab (negativer Effekt mit hoher Signifikanz). Bei gleichen Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft hängt der Einfluss der Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft auf die Vermittlungsquote von einer Zunahme oder Abnahme des Bestands von Langzeitleistungsbeziehenden ab.

Beispiel: Sinken die Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft von 2.205 Euro (der Mittelwert) auf 2.000 Euro, so würde die Vermittlungsquote von 7,5% (Mittelwert im Modell) auf 7,3% reduziert werden. Würden die Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft auf 2.400 Euro erhöht werden, dann steigt die Vermittlungsquote auf 7,7% (K3 bleibt konstant beim Mittelwert). Um bei konstanter Vermittlungsquote mit weniger Verwaltungskosten pro Bedarfsgemeinschaft auszukommen, um z. B. Umschichtungen zu reduzieren, müsste die Zahl der Langzeitleistungsbeziehenden reduziert werden. Bei einer Zielgröße von 2.000 Euro Verwaltungskosten pro Bedarfsgemeinschaft müsste die K3-Veränderungsrate von – 6,1 (Mittelwert) auf -5,9 verbessert werden.

Als eine weitere Moderatorvariable wurde die Zahl der Bedarfsgemeinschaften berücksichtigt. Sie stärkt den Einfluss der Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft auf die Vermittlungsquote. Große Bedarfsgemeinschaft-Zahlen führen bei steigenden Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft eher zu höheren Vermittlungsquoten (positiver signifikanter Effekt). Der Einfluss der Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft auf die Vermittlungsquote hängt davon, wie sich die Moderatorvariable Bedarfsgemeinschaft verhält.

Beispiel: Sinken die Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft von 2.205 Euro (der Mittelwert) auf 2.000 Euro, so würde die Vermittlungsquote von 7,5% (Mittelwert im Modell) auf 6,9% reduziert werden. Würden die Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft auf 2.400 Euro erhöht werden, dann steigt die Vermittlungsquote auf 8,1% (K3 bleibt konstant beim Mittelwert). Um bei konstanter Vermittlungsquote mit weniger Verwaltungskosten pro Bedarfsgemeinschaft auszukommen, um z. B. Umschichtungen zu reduzieren, müsste die Zahl der Bedarfsgemeinschaften reduziert werden. Bei einer Zielgröße von 2.000 Euro Verwaltungskosten pro Bedarfsgemeinschaft müsste die Zahl der Bedarfsgemeinschaften von 6.853 (Mittelwert) auf 5.540reduziert werden.

Der Einfluss von K3 ist stärker als die Zahl der Bedarfsgemeinschaften.

Fazit

Die vorliegende Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass die Auswirkungen der Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft auf die Vermittlungsquoten maßgeblich von der Anzahl der Bedarfsgemeinschaften sowie der Veränderung der Zahl der Langzeitleistungsbeziehenden im Bestand abhängen.

Die Daten erlauben jedoch keinen kausalen Schluss, dass hohe Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft mit niedrigen Vermittlungsquoten einhergehen und/oder auf eine geringe Effizienz von Jobcentern mit hohen Verwaltungskosten je Bedarfsgemeinschaft hinweisen.

Literatur

Bertelsmann Stiftung 2025:„Bürgergeld: Anspruch, Realität, Zukunft“

Bundesrechnungshof 2023: Bedarfsgerechte Veranschlagung und Verteilung der Mittel für Eingliederungsleistungen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende

Hammer, A. 2025: Zeitreihenanalyse von Beschäftigungsübergängen. Trends und Prognosen der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt am Beispiel von Abgangsraten. download

Hinweise

Eine ausführlichere Fassung wird demnächst hier und unter der Rubrik „Publikationen“ erscheinen.

Veröffentlicht unter Arbeitsmarkt, Bürgergeld, SGB II | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Kürzungen beim Bürgergeld – Gewinn für Union und SPD?

Union und SPD haben sich in den Koalitionsverhandlungen auf Verschlechterungen beim Bürgergeld verständigt (Verschärfung der Sanktion bis hin zu 100-Prozent-Leistungsentzug u. a. m.).

Wen betreffen die geplanten Verschlechterungen des Bürgergelds besonders?

Dies kann für Ostdeutschland angenommen werden. Hinweis dafür gibt die SGB II-Quote. Sie misst den Anteil der Bevölkerung, der Leistungen gemäß SGB II bezieht. In Ostdeutschland ist der Anteil deutlich höher als in Westdeutschland.

Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

Verschlechterungen des Bürgergelds betreffen Ostdeutsche demnach häufiger als Westdeutsche.

Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

In 2026 finden in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt Landtagswahlen statt.

Werden die CDU und SPD wegen Verschlechterungen des Bürgergelds Stimmenanteile bei den Landtagswahlen in diesen Bundesländern gewinnen?

Veröffentlicht unter Bürgergeld, SGB II | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Neuer leistender Rehabilitationsträger: Träger der Soldatenversorgung

Mit Wirkung zum 01.01.2025 trat das geänderte Soldatenentschädigungsgesetz (SEG) in Kraft. Der Kreis der Rehabilitationsträger wurde um die Bundeswehrverwaltung als Träger der Soldatenentschädigung erweitert.

https://www.bundeswehr.de/de/organisation/personal/seg-interview-5862718

Veröffentlicht unter Reha | Schreib einen Kommentar

Gumbels Erbe: Wie ein Statistiker die Weimarer Republik auf den Prüfstand stellte

In der Ausgabe vom 22.3.1924 (also vor rund 100 Jahren) des „Tage-Buch“ veröffentlichte Emil Gumbel den Aufsatz „Mord und Sühne“. In ihm ging er auf die rund 400 politischen Morde der letzten 5 Jahre in der Weimarer Republik ein.

Der Reichsjustizminister hatte in der 394. Sitzung des Reichstags im Dezember 1923 eine Denkschrift (Nr. Ivb, 2598 Gr.) über eine Auswahl dieser politischen Morde vorgelegt. Darunter wurden die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg und viele andere behandelt. Die Drucklegung dieser Denkschrift, also ein Exemplar für die Abgeordneten, ist gegen die Praxis unterblieben. Die Regierung hatte aber erklärt, dass die Denkschrift erschienen sein.

Gumbel hat dann auf eigene Kosten die Denkschrift abschreiben lassen um sie auszuwerten.

Im Tage-Buch-Aufsatz hat er dann einige Abschnitte veröffentlicht, die anschließend umfangreicher in seinem Buch Die Denkschrift des Reichsjustizministers über „Vier Jahre politischer Mord“ (Hrsg. Emil Julius Gumbel, Malik, Berlin 1924) ausführlicher dokumentiert und kritisch kommentiert.

Auf Basis dieser Denkschrift hat Gumbel dann eine Statistik erstellt. Er zeigte, dass die Weimarer Justiz eine politische Justiz war, und diese auf dem rechten Augen sehr blind.

Hervorzuheben ist, dass Gumbel seine Fachkompetenz als Statistiker (Die nach ihm benannte Gumbel-Verteilung gehört zu den Extremwertverteilungen) genutzt hat. Sein Engagement setzte nicht einfach auf einer Auswertung auf, sondern er ließ auf eigene Kosten die Denkschrift abschreiben, um sie auszuwerten. Und er machte seine Ergebnisse auf populäre Weise publik.

An ihn zu erinnern hat auch Fragen zur Folge:

  • Kann Gumbel heute als Vorbild dienen?
  • Welche Wissenschaftler*innen folgen ihm?
  • Würden heute Wissenschaftler*innen auch selbst eigene Gelder investieren, um von der Regierung und Justiz ungeliebte Themen zu bearbeiten?
  • Wie würde heute eine Auswertung von Gerichtsurteilen ausfallen (insbesondere, wenn man noch Urteile gegen „Klimakleber“ und andere Umwelt aktivist*innen berücksichtigen würde)?
  • Welche Preise sind nach ihm benannt und wie wird er als Pionier der politischen Aufklärung gewürdigt?

Ausführlich zu seinem Leben und Engagement: https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Julius_Gumbel

Veröffentlicht unter Arbeitsmarkt | Verschlagwortet mit , , , | Schreib einen Kommentar

Koalitionssondierung zum Bürgergeld

Im Sondierungspapier vom 8.3.2025 der CDU, CSU und SPD gibt es folgende Aussagen zum Bürgergeld (kursiv). Jeweils darunter folgt eine erste Einschätzung.


Das bisherige Bürgergeldsystem gestalten wir zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende um. Es muss sichergestellt werden, dass die Jobcenter für die Eingliederung ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt bekommen.

Solche Absichtserklärungen sind seit Jahren bekannt. Die Jobcenter benötigen ausreichend Mittel nicht nur für die Eingliederung, sondern auch für Personal und Sachkosten. Ausreichende Mittel sind gerade das Nötigste.

Wir stärken die Vermittlung in Arbeit. Für die Menschen, die arbeiten können, soll der Vermittlungsvorrang gelten. Diese Menschen müssen schnellstmöglich in Arbeit vermittelt werden.

Der Vermittlungsvorrang, wie er vor dem Bürgergeldgesetz bestanden hat, soll wieder Standard werden. Dabei geht es nicht allein um die vorrangige Vermittlung in Arbeit, sondern auch um die „schnellstmögliche“. Dies hat bisher zur Folge gehabt, dass irgendeine Arbeit schnell angenommen werden musste, ohne dass die Nachhaltigkeit der Integration damit hergestellt werden konnte.

Für diejenigen, die aufgrund von Vermittlungshemmnissen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden, werden wir vor allem durch Qualifizierung eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt ermöglichen.

Neben einer fehlenden Qualifizierung gibt es weitere Vermittlungshemmnisse wie Alter, Geschlecht, fehlende Kinderbetreuung, Krankheiten, Behinderung usw. Vermittlungshemmnisse sollen vor allem durch Qualifizierung beseitigt werden. Das wird nicht ausreichen. Offen ist, wie die zugesagte Qualifizierung ermöglicht werden sollen, wenn die Jobcenter seit 1.1.2025 hier gar keine Zuständigkeit mehr haben. Vermutlich bleibt die Aussage folgenlos, wenn die Zuständigkeit für Qualifizierung nicht zu den Jobcentern zurückverlagert wird.

Wir werden Vermittlungshürden beseitigen, Mitwirkungspflichten und Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern verschärfen. Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen. Für die Verschärfung von Sanktionen werden wir die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten.

Nach dem das Bundesverfassungsgericht 2019 bestimmte gesetzliche Regelungen zur Sanktion als verfassungswidrig beurteilt hatte, wurden die teilweise zurückgenommenen Sanktionen wieder reaktiviert. Diese sollen nun noch weiter verschärft werden. „Verweigerer“ wirken wie ein Magnet auf manche Parteien. Es wird eine rechtliche Überdehnung und Missachtung des BVerfG-Urteils und eine erneute Verurteilung in Kauf genommen.

Großangelegter Sozialleistungsmissbrauch, im Inland sowie durch im Ausland lebende Menschen, muss beendet werden. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit wollen wir weiter stärken und so härter gegen diejenigen vorgehen, die illegale Beschäftigung betreiben oder die „schwarz“ arbeiten.

Hier werden Leistungsberechtigte wieder in den Kontext von Sozialleistungsmissbrauch gestellt. Es stellt sich die Frage, warum bisher dieser großangelegte Sozialleistungsmissbrauch nicht beendet wurde. Man müsste stärker gegen „Schwarzarbeitgeber“ vorgehen, aber noch viel stärker Straftaten wie cum-ex-Straftaten verfolgen und zur Verteilung bringen, die einen sehr viel größeren finanziellen Schaden verursacht haben.


Viele soziale Leistungen sind unzureichend aufeinander abgestimmt. Wir wollen Leistungen zusammenfassen und besser aufeinander abstimmen, etwa durch die Zusammenführung durch Wohngeld und Kinderzuschlag. Wir wollen, das – wo immer möglich – Leistungen und Beratung aus einer Hand erbracht werden. Die Prozesse müssen digitalisiert werden.

Das ist Ziel fast jeder Regierung: das Zusammenfassen, bevorzugt durch Digitalisierung, von Leistungen, die man erst selbst als Politik getrennt hat. So ist die Bundesagentur für Arbeit für die Förderung der beruflichen Weiterbildung geworden, auch wenn die zu Fördernden im Rechtskreis SGB II und nicht im SGB III sind. Das Zusammenfassung von Leistungen ist in dieser Hinsicht nicht nur komplex, sondern verlangt von den Politiker*innen ein hohes Maß als Selbstbeschränkung.

Mit fortschreitenden Sondierungen wird klarer, was sich im SGB II und SGB III tun wird. Da das SGB II aus Steuermitteln finanziert wird, ist auch die Haushaltsfrage von Bedeutung. Eine Gegenfinanzierung von Zusagen (ausreichend Mittel zur Eingliederung) aus dem System selbst heraus (mehr Sanktion, mehr Vermittlung, schnellere Vermittlung) hat bisher nicht funktioniert.

Veröffentlicht unter SGB II | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

500 Jahre Deutscher Bauernkrieg: Von historischen Kämpfen zu aktuellen Wohnungsfragen

Regenbogenfahne von 1525

Die Zwölf Artikel von Memmingen und ihre Bedeutung

Im Februar 1525 formulierten aufständische Bauern die 12 Memminger Artikel, die als Grundlage des Deutschen Bauernkriegs gelten. Diese Forderungen umfassten unter anderem:

  1. Freie Pfarrerwahl
  2. Abschaffung des Kleinzehnten, kirchliche oder gemeinnützige Verwendung der Großzehnten
  3. Aufhebung der Leibeigenschaft
  4. Freie Jagd und Fischerei
  5. Rückgabe der Wälder
  6. Reduzierung der Frondienste
  7. Einhaltung bestehender Besitzbedingungen
  8. Neufestsetzung der Abgaben an den Grundherren
  9. Feste statt willkürlicher Strafen
  10. Rückgabe der Allmenden
  11. Abschaffung des Todfalls
  12. Bereitschaft zum Verzicht auf Forderungen, die dem Wort Gottes widersprechen

Verbreitet war der Aufstand – die Bundschuh-Bewegung – beispielsweise im Kraichgau, in der Joß Fritz aus Untergrombach wohl die bekannteste Person war.

Bundschuhfahne, 1537

Historischer Kontext und globale Parallelen

Ausgangspunkt dieser Forderungen war das vom Adel zunehmend missachtete „Alte Recht„, ein mündlich überliefertes Rechtssystem. Seit Jahrhunderten bestehende Allmenden wurden enteignet und gemeinschaftliche Weide-, Holzschlag-, Fischerei- oder Jagdrechte beschnitten oder abgeschafft. Gemeindeland wurde durch das “Recht des Stärkeren” (Adel) privatisiert.
Die Allemendeflächen (Wälder, Gewässer) waren die Grundsicherung für die Beherrschten: bei schlechten Ernten oder in Kriegszeiten  könnten sie mit Beeren, Nüssen, Wild oder Fischen überleben. Die Enteignung von Allmenden und die Beschneidung gemeinschaftlicher Nutzungsrechte bedrohten deshalb die Existenzgrundlage der einfachen Bevölkerung.

Interessanterweise fanden zeitgleich in Mittelamerika ähnliche Umwälzungen statt: Im Februar 1525 wurde der letzte aztekische Herrscher Cuauhtémoc durch Hernán Cortés hingerichtet, und das Milpa-System der Maya, das Ähnlichkeiten mit der Allmende aufwies, wurde zerstört.

Von der Geschichte zur Gegenwart: Die Wohnungskrise

Die Problematik der privatisierten Bodennutzung und -verteilung hat bis heute Bestand. Anders als Arbeitskraft oder Kapital lässt sich Grund und Boden nicht vermehren. Dies führt zu aktuellen Herausforderungen:

  • Steigende Preise für Wohnungskauf und -mieten
  • Versagen des Wohnungsmarktes bei der Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums
  • Privatisierung öffentlichen Grundbesitzes und Wohnungsbestände
  • Steigende Kosten für den Staat durch Unterstützungsleistungen wie Kosten der Unterkunft oder Wohngeld

Aktuelle Initiativen und Lösungsansätze

Als Reaktion auf diese Entwicklungen entstehen Gegenbewegungen:

  • Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ gewann 2021 einen Volksentscheid in Berlin, der die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne als Option etablierte.
  • Forderungen nach Rekommunalisierung von Flächen werden lauter, um mehr Wohnungen ohne Gewinnerzielungsabsicht bereitzustellen.

Fazit und Ausblick

Die Parallelen zwischen den historischen Kämpfen um Allmenden und den heutigen Auseinandersetzungen um bezahlbaren Wohnraum sind bemerkenswert. Sie erinnern uns an die fortdauernde Relevanz des Artikels 14 (2) des Grundgesetzes:

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Die Lösung der aktuellen Wohnungskrise erfordert innovative Ansätze, die sowohl die Bedürfnisse der Bevölkerung als auch die komplexen wirtschaftlichen Realitäten berücksichtigen. Der Blick in die Geschichte kann dabei wertvolle Impulse für zukunftsfähige Konzepte liefern.

Beiträge zum Thema Wohnen/Wohnung

Veröffentlicht unter Ökonomie | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar

Frauen werden bei der öffentlich geförderten Beschäftigung benachteiligt

Die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt ist noch nicht hergestellt. Dies gilt auf für öffentlich geförderte Beschäftigung, mit der Arbeitslose unterstützt werden können (vgl. auch Öffentlich geförderte Beschäftigung 2016 bis 2020).

Wie groß ist der geschlechtsspezifische Unterschied (gender gap) bei der öffentlich geförderten Beschäftigung?

Weiterlesen: Frauen werden bei der öffentlich geförderten Beschäftigung benachteiligt

Der gender gap wird hier – so mein Vorschlag – anhand von vier Instrumenten für die steuerfinanzierte Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gezeigt.

  1. Eingliederungszuschuss, EGZ
  2. Einstiegsgeld bei abhängiger sv-pflichtiger Erwerbstätigkeit, ESG-A
  3. Eingliederung von Langzeitarbeitslosen, EvL
  4. Teilhabe am Arbeitsmarkt, TaA

Um einen gender gap zu berechnen gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • absolute Differenzen,
  • ratio und
  • relative Differenzen.

Die relativen Differenzen werden in anderen Zusammenhang häufiger als gender gap bezeichnet. Aber auch diesem Ansatz gibt es verschiedene Varianten.

Im folgenden wird zur Berechnung der relative Differenz der Geschlechterunterschiede die folgende Formel eingesetzt:

(Wert der Frauen – Wert der Männer) / Wert der Frauen + Wert der Männer) * 100

Ein hoher negativer Wert deutet auf eine Benachteiligung der Frauen hin, ein hoher positiver Wert auf eine Benachteiligung der Männer. Der Wert 0 entspricht der völligen Gleichheit zwischen den Geschlechtern.

Als Wert zählen die Bestandsfälle der Förderung für jedes Instrument je 1.000 Arbeitslose im Bundesgebiet und Rechtskreis SGB II.

Quelle der Daten. Statistik der Bundsesagentur für Arbeit; eigene Berechnungen

Die Analyse zeigt:

Die Instrumente der öffentlich geförderten Beschäftigung weisen einen gender gap bzw. eine Geschlechtergerechtigkeit zuungunsten der Frauen auf. Dies bedeutet, dass es relativ weniger der vier Förderinstrumente für Frauen gibt als für Männer, was auf eine deutliche geschlechtsspezifische Ungleichheit hinweist. Der größte Unterschied besteht bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen -33,1; vgl. auch Teilhabe für deutsche Männer – Creaming bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen? ; zur Teilhabe am Arbeitsmarkt siehe hier). Die geringste Differenz ist beim Einstiegsgeld zu beobachten (-15,2). Das arithmetische Mittel der aufsummierten Unterschiede des gender gap kann als Index ausgedrückt werden und beträgt -23,1.

Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zeigen einen deutliche Handlungsbedarf zum Abbau der Geschlechterungleichheitbei der öffentlich geförderten Beschäftigung.

In Kürze werde ich in einem ausführlicheren Beitrag die differenziertere Auswertung des geschlechtsspezifischen Unterschied (gender gap) bei der öffentlich geförderte Beschäftigung darstellen.

Weitere Beitrage zur Gruppe der Frauen

Veröffentlicht unter Bürgergeld, Ökonomie, SGB II, Soziale Teilhabe, Teilhabechancengesetz | Verschlagwortet mit , , , , , , , , | Schreib einen Kommentar