Wenn vom Bund und den Medien zur Darstellung der Arbeitsmarktsituation die Arbeitslosigkeit in Zahlen ausgedrückt wird, geht es meist um die registrierte Arbeitslosigkeit (gem. § 16 SGB III).
Arbeitslosigkeit
Bei der registrierten Arbeitslosigkeit müssen mindestens vier Bedingungen gleichzeitig erfüllt sein:
- vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen,
- eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen,
- den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen,
- sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet haben.
Ist eine einzige der Bedingungen nicht erfüllt, dann gilt die Person nicht als arbeitslos. So melden sich Berufsrückkehrerinnen nach der Elternzeit häufiger nicht bei der Agentur für Arbeit, wenn sie kein Arbeitslosengeld bekommen würden. Sie gelten dann nicht als arbeitslos. Nicht als arbeitslos zählen Teilnehmende an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik (z. B. Sog. 1-Euro-Jobber, Teilnehmende in Bewerbungstrainings).
Die auf der registrierten Arbeitslosigkeit basierenden Indikatoren (Arbeitslosenquoten usw.) haben spätestens seit Einführung des SGB II (sog. „Hartz IV“) an Aussagekraft für eine Interpretation der Arbeitsmarktdynamik verloren, vor allem wenn man etwas gegen Arbeitslosigkeit tun möchte. Gründe sind die veränderten Definitionen und Zählweisen seit der ersten Regierungszeit von Helmut Kohl („geistig-moralische Wende“).
Unterbeschäftigung
Aussagekräftiger als die Arbeitslosigkeit ist das Maß der sog. Unterbeschäftigung – ein Begriff der wohl auch gewählt wurde, weil er nicht so schlimm klingt wie „Arbeitslosigkeit“. Für die Unterbeschäftigung gibt es Stufen der Definition der Bundesagentur für Arbeit, die verschiedene „Arbeitslose“ ein- oder ausschließen. In der Unterbeschäftigung werden in der engsten Definition zusätzlich zu den registrierten Arbeitslosen auch die Personen erfasst, die nicht als arbeitslos im Sinne des SGB gelten, weil sie Teilnehmende an einer Maßnahme der Arbeitsmarktpolitik oder in einem arbeitsmarktbedingten Sonderstatus sind. In der weitesten Definition der Agentur für Arbeit sind auch die Kurzarbeiter/-innen berücksichtigt.
Nach Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit wird mit dem Konzept der Unterbeschäftigung zweierlei geleistet:
- Es wird ein möglichst umfassendes Bild vom Defizit an regulärer Beschäftigung in einer Volkswirtschaft gegeben.
- Realwirtschaftliche (insbesondere konjunkturell) bedingte Einflüsse auf den Arbeitsmarkt können besser erkannt werden, weil der Einsatz entlastender Arbeitsmarktpolitik zwar die Arbeitslosigkeit, nicht aber die Unterbeschäftigung verändert.
Die Funktion des Konzepts „Unterbeschäftigung“ zeigt bereits die Mängel der Definition von Arbeitslosigkeit. Aber auch bei der Unterbeschäftigung müssen die o. g. Vier Bedingungen gegeben sein. Zudem werden viele Arbeitslose in der Statistik auch nicht über die Unterbeschäftigung erfasst.
Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung
Die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung seit Beginn des Jahres 2019 (für früheren Zeitraum siehe hier: https://w9eg9znx6.homepage.t-online.de/hammer-eu/wordpress/?p=1245) zeigt, einen relativ stabilen Verlauf der Zahl der registrierten Arbeitslosen um das Niveau von 2,3 Mio. Arbeitslosen bis zum Beginn der ersten politischen Anordnung von Einschränkungen von Aktivitäten im Frühjahr 2020. Die Unterbeschäftigung war ähnlich stabil bei etwa 3,3 Mio. Unterbeschäftigten („Arbeitslosen“). Die Unterbeschäftigung entsprach damit im Mittel etwa dem 1,4-fachen der registrieren Arbeitslosigkeit.
Seit März 2020 (bis Februar 2021) stieg im Durchschnitt die Arbeitslosigkeit auf 2,8 Mio. Personen. Der Anstieg in diesen 12 Monaten beträgt im Vergleich zu den 14 Monaten davor 21,4 %.
Die Unterbeschäftigung stieg in stärkerem Umfang und zwar um 56,2 % auf durchschnittlich 5,1 Mio. Personen. Der Wert liegt somit um das 1,8-fache über dem der registrierten Arbeitslosigkeit.
Die Unterbeschäftigung nimmt seit Oktober 2020 sehr stark zu, wobei die Arbeitslosigkeit auf einem ähnlichen Niveau wie in den Vormonaten bleibt.
Der minimale Rückgang der Arbeitslosigkeit im Herbst 2020 zeigt insofern keine Trendwende am Arbeitsmarkt. Im Gegenteil: der große und deutlich gestiegene Umfang der Unterbeschäftigung zeigt weiteren arbeitsmarktpolitischen Handlungsbedarf an.
Im Februar 2021 waren 2,9 Mio. Menschen arbeitslos und 5,9 Mio. unterbeschäftigt – also rund 2,9 Mio. mehr als registrierte Arbeitslose.
Eine Konzentration auf das Instrument Kurzarbeitergeld – übrigens standardmäßig aus Beiträgen der Sozialversicherung finanziert – dämpft den Anstieg der Arbeitslosenzahlen, verbessert aber dadurch nicht die Arbeitsmarktsituation. Es stellt angesichts des Anstiegs der Langzeitarbeitslosigkeit (https://w9eg9znx6.homepage.t-online.de/hammer-eu/wordpress/?p=1501) für diese auch keine Problemlösung dar.
Entgegen der Redeweise von einem „stabilen“ Arbeitsmarkt oder einem Arbeitsmarkt, der durch die Pandemie nicht wesentlich beeinträchtigt wurde, geht das Defizit an regulärer Beschäftigung in die Hunderttausende. Im Frühjahr 2021 gibt es rund 6 Mio. Menschen, die mehr arbeiten wollen oder müssen als sie dürfen. Und gleichzeitig will die Bundesregierung die Mittel aus dem EU-Next-Generation-Instrument (s. hier) nutzen um vorhandene Programm wie „Ausbildungsplätze sichern“ (s. hier) zu refinanzieren oder um den Anreiz (!) zur Ausweitung (!) der Arbeitszeit zu erhöhen.
Anders formuliert: sollte es keinen Unwillen beim Bund geben Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftfigung abzubauen, dann ist ein Unvermögen festzustellen, innovative Interventionen des Staates für eine nachhaltige Beschäftigung zu entwickeln und dafür die EU- und andere Mittel zu nutzen.
Es braucht deutlich mehr (Vorschläge z. B. hier oder hier) um während und nach der Pandemie Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung abzubauen als die bisherigen Instrumente, Finanzmittel, Rechtssetzung und mediale Präsentation.