Sanktion und Integration

Nach 15 Jahren Fördern und Fordern in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II, sog. Hartz IV) und einem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom November 2019, welches Sanktionen in diesem Rechtskreis für teilweise verfassungswidrig erklärt hat, haben sich die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP in ihren Sondierungen auf die Beibehaltung von Mitwirkungspflichten verständigt. Gleichzeitig werden fehlende Anreize der Leistungsberechtigten zur Arbeitsaufnahme behauptet (siehe hier). Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings darauf hingewiesen, dass Sanktionen, die zu einer Senkung der Transferleistung unter das grundgesetzlich garantierte sozio-kulturelle Existenzminimum führen, begründet sein müssen und die unterstellte Wirkung – Arbeitsaufnahme – dadurch eintritt.

Welche Wirkung haben nun Sanktionen auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit?

Dies lässt sich beispielsweise an zwei Größen berechnen: die Integrationsquote (zu erklärende Variable) und der Umfang der Leistungskürzung durch Sanktionen.

Die Integrationsquote K2 ist eine Kennzahl, die dem Leistungsvergleich zwischen den Jobcenter dient. Die Kennzahl misst die Zahl der Integrationen in den vergangenen zwölf Monaten im Verhältnis zum durchschnittlichen Bestand an erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in diesem Zeitraum (Datenquelle: Servicestelle SGB II).

Für die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB) im Bestand wird festgestellt, ob zum Stichtag mindestens eine wirksame Sanktion vorliegt. Auf Basis dieser Bestandszählung wird dargestellt, wie viele erwerbsfähige Leistungsberechtigte zum Stichtag sanktioniert sind und wie sich die Sanktionen auf die Höhe des Leistungsbezugs auswirken. Dies drückt den Anteil der Kürzung durch die aktuell wirksamen Sanktionen einer Person an dem laufenden Leistungsanspruch, den die Person ohne Sanktionierung gehabt hätte (Datenquelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit).

Eine Regressionsanalyse für die Monate Juli 2016 bis einschließlich Oktober 2019 (Zeitraum vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts) für alle Jobcenter auf der Ebene Deutschlands zeigt einen negativen Zusammenhang: je höher der Anteil der Kürzung durch Sanktionen in einem Jobcenter, desto niedriger ist die Integrationsquote. Steigt der Anteil der Kürzung durch Sanktionen eines durchschnittlichen Jobcenters um einen Prozentpunkt, dann sinkt die Integrationsquote K2 um 1,83 Prozentpunkte.

Für den Zeitraum Dezember 2019 bis einschließlich Juni 2021 ist die Richtung genau so: je höher der Anteil der der Kürzung durch Sanktionen in einem Jobcenter, desto niedriger ist die Integrationsquote. Der Einfluss ist allerdings geringer: Steigt der Anteil der der Kürzung durch Sanktionen eines durchschnittlichen Jobcenters um einen Prozentpunkt, dann sinkt die Integrationsquote K2 um 0,7 Prozentpunkte in diesem Zeitraum. Wie dieser Rückgang von 1,83 auf 0,7 Prozentpunkte erklärt werden kann, lässt sich aus den Daten nicht erschließen. Sicherlich hat die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts einen Anteil daran. Die besonderen Bedingungen der Sars-CoV-2-Pandemie spielen vermutlich gleichfalls eine Rolle.

Der Wert für den November 2019 wurde nicht berücksichtigt, weil in diesem Monat sowohl die alte wie die neue Rechtslage gegeben war.

Fazit:

Die Senkung der Transferleistung der Jobcenter unter das Existenzminimum durch Einsatz von Sanktionen zur verstärkten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ist fragwürdig. Diese sollte bei der Änderung der Rechtslage durch die neue Bundesregierung berücksichtigt werden.

Statistischer Teil

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