Bürgergeld: die Lösung ist das Problem

Die SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP haben sich in ihren Sondierungen mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; sog. Hartz IV) beschäftigt und ein „Bürgergeld“ in den Mittelpunkt der geplanten Vorhaben gestellt. Konzepte des „Bürgergeldes“ der letzten Jahre basieren häufig auf der monetaristischen Konzeption von Milton Friedman.

Festgehalten ist:

Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen. Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein. Es soll Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellen. Während der Corona-Krise galten großzügige Regelungen zu Schonvermögen und zur Überprüfung der Wohnungsgröße. Wir prüfen, welche dieser Regeln wir fortsetzen wollen. An Mitwirkungspflichten halten wir fest und prüfen, wie wir hier entbürokratisieren können. Die Zuverdienstmöglichkeiten wollen wir verbessern, mit dem Ziel, Anreize für Erwerbstätigkeit zu erhöhen.“

Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, 2021, S. 6; (Hervorhebungen: AH)

Was positiv oder fortschrittlich klingen soll (Bürgergeld, Würde, Hilfen), kommt einer Fortsetzung des Fördern (Hilfen zur Rückkehr) und Fordern (Mitwirkungspflichten) unter anderem Namen gleich, das dem SGB II von Anfang eingeschrieben wurde. Das Wort „Mitwirkungspflicht“ selbst ist nicht nur eine Beschönigung, sondern auch unlogisch. Mitwirken und Pflicht schließen sich aus, genauso wie „Freiwilligkeitszwang“.

Trotz der Würde des Einzelnen, die auch im Grundgesetz verankert ist, unterstellt und wiederholen die Sondierungspartner von SPD, Grüne und FDP die generelle Behauptung, dass die Arbeitslosen nicht arbeiten wollen. Das zeigt sich sowohl an der geforderten„Mitwirkungspflicht“ als auch an der Annahme, dass es an Anreizen der Arbeitslosen zur Erwerbstätigkeit fehlt. Konsequenterweise haben die Parteien darauf geachtet, dass im gesamten Ergebnispapier das Wort „arbeitslos“ nirgends vorkommt. Arbeitslosigkeit wird als existierendes Problem ausgeblendet.

Eingeblendet in die Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler werden unzureichende Arbeitsanreizwirkungen, welche angeblich die Reintegration der Arbeitslosen in Beschäftigung hemmen. Unausgesprochen wird den LeserInnen signalisiert, dass zusätzlich erzieltes Erwerbseinkommen unterhalb der Leistungs- oder Bedarfsschwelle wegen der Anrechnung nicht lohnt und so die Leistungsanreize durch staatliches Verhandeln verkümmern und sich die Betroffenen mehr oder weniger freiwillig im System einrichten, statt Arbeit zu suchen und aufzunehmen. Deshalb soll auch lediglich der Zuverdienst verbessert werden, statt Schritte auf dem Weg zur existenzsichernden Beschäftigung einzuschlagen. Das entwertet die Bedeutung des Sozialstaats.

Dass es für alle Arbeitslosen, gesetzt den Fall, alle würden arbeiten wollen, gar nicht genügend offene Stellen gibt, wissen auch die PolitikerInnen(September 2021: Arbeitslose: 1,9 Mio., gemeldete Stellen bei der BA: 0,6 Mio.; Lücke: 1,3 Mio.). Auch wissen sie, dass Diskriminierung aufgrund von ethnischer oder sozialer Herkunft oder Alter auf dem Arbeitsmarkt gleichfalls eine hemmende Rolle bei der Aufnahme von Beschäftigung spielt. Das wird nicht berücksichtigt.

Dennoch verkünden sie populistisch, dass der Anreiz zum Arbeiten fehlt. Vielleicht geht es lediglich darum, dass die Arbeitslosen zu wenig Anreize haben, zu niedrigen Löhnen oder prekär zu arbeiten.

Mit der geplanten Erhöhung des anrechnungsfreien Einkommens im SGB II sind allerdings auch unerwünschte Folgen verbunden.

Durch die Erhöhung des anrechnungsfreien Einkommens würde die Zahl der Leistungsberechtigten unter sonst gleichen Bedingungen erhöht werden. Das Bürgergeld würde demnach teurer werden als das bisherige System. Deshalb sind einer faktischen Erhöhung der Anreize auch Grenzen gesetzt.

Ein anderes Problem ergibt sich daraus, dass Unternehmen, die einen „Zusatzverdienstler“ beschäftigen, möglicherweise andere Unternehmen verdrängen, die regulär beschäftigen. Neben der Schaffung zusätzlicher, mit Bürgergeld subventionierten Arbeitsplätze werden sicherlich auch vorhandene Arbeitsplätze verdrängt.

Vermutlich werden eher Arbeitsplätze zusätzlich entstehen, die nicht tarifbezogen sind (die Gewerkschaften sind wohl weiterhin zu schwach, um dem etwas entgegensetzen zu können) und lediglich dem Mindestlohn unterliegen, der für Langzeitarbeitslose nach geltendem Recht auch unterschritten werden darf. Der Staat subventioniert den Arbeitgeberlohn („Kombilohn“). Es gibt mit dem Bürgergeld dann nicht weniger Arme, sondern mehr erwerbstätige Arme (Working poor; siehe auch hier). Denn bereits jetzt arbeiten sog. Hartz IV-EmpfängerInnen parallel zum Leistungsbezug. Im Jahr 2020 waren rund 24 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (SGB II) erwerbstätig und im Jahr 2019 waren es 26 Prozent.

Dabei gibt es in der gegenwärtigen Grundsicherung für Arbeitsuchende Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Das zeigt das folgende Beispiel exemplarisch.

Alleinstehend, über 25 Jahre altarbeitsloserwerbstätig, Steuerklasse I, 20 Wochenstunden beschäftigt zu 12 Euro pro Stunde brutto
Miete monatlich 400 Euro
Heizungskosten monatlich 50 Euro
Anspruch nach dem SGB II
Regelleistung 446 Euro446 Euro
Bedarf: Miete, Nebenkosten, Heizung)450 Euro450 Euro
Gesamt 896 Euro
Lohn1.040 Euro brutto
830,70 Euro netto
anrechenbare Einkünfte537 Euro
Freibetrag inkl. Versicherungspauschale264 Euro
voraussichtliches Arbeitslosengeld II896 Euro359 Euro

Durch Erwerbstätigkeit im beschriebenen Umfang wird das verfügbare Einkommen bereits im gegenwärtigen System um 43,2 Prozent erhöht. Von einer anreizlosen Transferentzugsrate kann hier nicht die Rede sein.

Dem Bundestagswahlprogramm der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach soll der Regelsatz um 50 Euro erhöht werden. Damit würde im vorgenannten Beispiel das verfügbare Einkommen um 49,2 Prozent erhöht werden, also 6 Prozentpunkte mehr als bisher. Die FDP und die SPD machen keine quantitativen Aussagen.

Die vorgeschlagenen Lösungen im Sondierungspapier scheinen eher Teil des Problems zu sein und werden weder Massenarbeitslosigkeit noch prekäre Arbeit wirksam abbauen.

Literatur:

Meinhardt, V. u.a. 1994: „Bürgergeld“. Keine Zauberformel, in: DIW-Wochenbericht Nr. 41/1994, S. 689ff

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