In den letzten 30 Jahren lag die Zahl der Überstunden im jährlichen Mittel bei rund 2 Milliarden Stunden, davon zu fast gleichen Teilen bezahlte und unbezahlte Überstunden. Diese Überstunden fallen an, obgleich etwa 2,3 Mio. Menschen in 2022 arbeitslos waren und weitere unterbeschäftigt sind (d. h. Sie befinden sich beispielsweise in Maßnahmen der Arbeitsverwaltung).
Bereits vor über 100 Jahren wurde von Gewerkschaften angesichts der Zahl der Überstunden und gleichzeitigen Arbeitslosigkeit eine Überstundenkontrolle gefordert. Erwähnenswert ist hier die Amalgamated Engineering Union (AEU) der Metallindustrie im Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland. Sie bestand darauf, dass es keine Überstunden geben sollte, solange Arbeitslose beschäftigt werden könnten, und dass den Arbeitenden ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird.
1922 starteten die Arbeitgeber im Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch die Engineering Employers‘ Federation, eine branchenweite Aussperrung, um die von der Vorgängergewerkschaft der AEU während des Ersten Weltkriegs und in der Zeit danach erzielten Erfolge rückgängig zu machen. Sie nutzten den wirtschaftlichen Abschwung in der Maschinenbaubranche aus und verlangten von der Gewerkschaft, die Kontrolle über die Überstunden aufzugeben. Die Aussperrung dauerte vom 11. März bis zum 13. Juni und betraf 260.000 Arbeitnehmer, von denen 90.000 von der AEU vertreten wurden (Wikipedia, Eintrag AEU). Parallel fand im Übrigen ein Streik der Werftarbeiter statt. Beides wurde vor 100 Jahren in Deutschland beobachtet und ebenfalls eine Überstundenkontrolle gefordert.
Bei der Aussperrung handelte es sich um einen Prinzipienkonflikt:
- die „Herr im Haus“-Position der Arbeitgeber wider die Solidarität der Arbeitenden und Arbeitslosen
- der 8-Stundentag wider den 10-Stundentag
- das Recht auf Arbeit wider eine große Zahl lohndrückender Arbeitsloser
Würde man die seit 1991 anfallenden Überstunden in Deutschland auf eine 39-Stunden-Woche verteilen, könnten im jährlichen Durchschnitt rund 1 Million Menschen zusätzlich beschäftigt werden, auf Arbeitsplätzen, die bisher vermieden wurden. Und selbst, wenn man nur die Hälfte der Überstunden umverteilen würde, könnten eine halbe Million Arbeitslose beschäftigt werden. Damit bleiben intern-zeitliche Anpassungen der Beschäftigung eines Betriebs weiterhin möglich. Bei einer Teilzeitbeschäftigung wären es entsprechend mehr Arbeitsplätze.
Insofern ist es widersprüchlich, wenn der Staat einerseits ein derart großes Volumen an Überstunden zulässt und andererseits Arbeitgebern Zuschüsse zahlt, wenn sie Arbeitslose einstellen (verschiedene Formen der Lohnkostenzuschüsse im SGB II und SGB III).