Bundesregierung plant Pflicht zur Arbeit für Flüchtlinge

Seit 30 Jahren besteht eine Arbeitspflicht für Asylbewerber*innen im Asylbewerberleitungsgesetz (s. Pflichtarbeit für Asylbewerber? Gibt es schon). Nun plant die Bundesregierung eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge im SGB II: Sie richtet sich insbesondere auf erwerbsfähige Flüchtlinge aus der Ukraine, die Bürgergeld beziehen, und deren Beschäftigungsquote derzeit bei rund 28 Prozent liegt. Diese Quote wird von einigen Politikern und Teilen der Öffentlichkeit als zu niedrig angesehen.

Was ist geplant?

Vorgesehen ist im aktuellen Gesetzgebungsverfahren, dass die Jobcenter erwerbsfähige Leistungsberechtigte (ELB) mit einem Aufenthaltsstatus nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes unter den Voraussetzungen des Satz 4 zur Förderung ihrer Beschäftigungsfähigkeit oder zur Unterstützung beim Übergang in ein Beschäftigungsverhältnis zur Teilnahme an einer Maßnahme bei einem Arbeitgeber (MAG) verpflichten können.

Die Arbeitspflicht trägt den Namen Integrationspraktikum, und soll in einem neuen Paragraf 16j SGB II geregelt werden (§16j SGB II war davor die inzwischen gestrichene Rechtsgrundlage für den Bürgergeldbonus). Voraussetzungen sind,

  • dass die ELB einen Integrationskurs absolviert haben und
  • danach 6 Monate lang nicht vermittelt wurden und
  • dies in den kommenden sechs Monaten nicht zu erwarten ist.

Die Dauer liegt zwischen vier und 16 Wochen.

Die Verpflichtung erfolgt mit Rechtsfolgenbelehrung der Jobcenter und die Nicht-Teilnahme kann mit der Kürzung der Regelleistung von 30 Prozent für drei Monate (ebenfalls Teil des Gesetzesentwurfs) sanktioniert werden.

Die Förderung umfasst die angemessenen Kosten zur Ermöglichung der Teilnahme, soweit dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Dies können insbesondere Fahrtkosten, notwendige Arbeitsmittel oder notwendige Kosten einer Kinderbetreuung sein.

Die Pflichtarbeit stellt Beschäftigungsverhältnis ohne Entlohnung sui generis dar. Damit ist eine Beteiligung von Gewerkschaften, Personal- oder Betriebsräten nicht vorgesehen.

Im Unterschied zu den bisherigen Maßnahmen bei einem Arbeitgeber ist die Zertifizierung nach AZAV nicht erforderlich.

Was ist der Hintergrund?

Abstrakt betrachtet, gibt es vergleichbare Regelungen schon. Neu ist, wie der rechtlich zulässige Rahmen gedehnt wird.

Offensichtlich ist es das Ziel dieser neuen Regelung, die Beschäftigungsquote der ukrainischen Flüchtlinge, die als zu niedrig kritisiert wird, zu erhöhen (Beschleunigt der Job-Turbo die Arbeitsaufnahme von Flüchtlingen im Bürgergeld-Bezug?).

Offensichtlich funktioniert der Job-Turbo nicht gut genug. So erscheint eine Pflichtmaßmnahme als zielführend.

Was kann die Einführung des Integrationspraktikums bedeuten?

Diese wie andere geplanten Regelungen setzen die Reihe der Verschärfungen im SGB II fort – was die einen befürworten, und die anderen bedauern.

Eine Pflichtarbeit stellt eine weitere Abkehr vom Kooperationsplan und Kooperationsgedanken sowie der Beratung auf Augenhöhe dar.

Wieder werden ELB zu einer Problemgruppe definiert. Nach der letzten Verschärfung der Sanktionen für sog. „Totalverweigerer“, sind hier Flüchtlinge, insbesondere aus der Ukraine adressiert. Der Öffentlichkeit wird nahegelegt, dass manche ELB nur mit „Sanktionsandrohung“ arbeiten würden. Dies verschleiert, dass zahlreiche ukrainische Flüchtlinge Probleme mit der Betreuung von Angehörigen (Kindern, Hochbetagten) und deshalb Schwierigkeiten beim Eintritt in den Arbeitsmarkt haben.

Diese ELB zu Problemgruppen zu machen, erschwert wiederum die Arbeit der Jobcenter, Arbeitgebern zu überzeugen, dass sie motivierte Arbeitsuchende vermitteln können. Auch werden sich die Arbeitgeberservices und -teams, die ELB direkt an Arbeitgeber (und nicht in Maßnahmen) vermitteln, abwägen müssen, ob sie Arbeitgebern Flüchtlinge zur Beschäftigung in Pflicht anbieten oder wie sie sonst das beste Matching von Stellenanforderung und Arbeitsuchenden als Qualitätszusage betonen und geeignetere Bewerber*innen vorschlagen.

Für die zusätzlichen Kosten wird der Eingliederungstitel nicht erhöht. Die Nutzung der „Integrationspraktika“ geht also zur Lasten anderer Instrumente und anderer ELB.

Ausblick

Maßnahmen beim Arbeitgeber waren zahlenmäßig bisher kein großer Erfolg, wenn man den durchschnittlichen Bestand der Förderungen anschaut. Mit einer Verpflichtung der ELB könnte die Zahl der Eintritte deutlich wachsen.

Arbeitgeber können nun ohne Lohnkosten für ELB diese 16 Wochen, fast 4 Monate, z. B. in der Landwirtschaft (z. B. Spargel-, Wein-, Obsternte) oder in der Gastronomie/Hotellerie beschäftigen (Mitnahmeeffekte) oder vorhandene Arbeitsplätze substituieren (z. B. Regale einräumen in Super-/Baumärkten) oder Personallücken in der Alten- und Pflegehilfe reduzieren.

Bei der Pflichtarbeit werden Mitnahme- oder Substitutionseffekte nicht oder nur vermeintlich ausgeschlossen, im Unterschied zu den Arbeitsgelegenheiten des SGB II. Durch die Ausdehnung der bisherigen Maßnahmedauer von 12 auf 16 Wochen werden solche Effekte, wenn nicht gewünscht, dann in Kauf genommen.

Die Begründung dafür in der sog. Formulierungshilfe zum Gesetzesentwurf ist erhellend:

„Dies [Erforderlichkeit von 16 statt 12 Wochen Dauer] kann in Einzelfällen etwa … gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere psychischer Traumata durch Krieg, Flucht und Vertreibung … der Fall sein.“

Wenn also jemand ein psychisches Trauma durch Krieg hat, dann begründet dies die verlängerte Pflichtarbeit. Psychische Traumata wären üblicherweise ein Grund für die Nichtzumutbarkeit von Arbeit. Aber das ist der Richtungswechsel, dem der Bund der politischen Debatte in der Öffentlichkeit folgt oder vorausgeht.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Maßnahme tatsächlich zu einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt führt oder ob unbeabsichtigte negative Folgen überwiegen. Die Maßnahme wird wohl als Rückschritt in der Beratung auf Augenhöhe und Kooperation gesehen werden müssen – dafür steht die Modifizierung einer „klassischen“ Maßnahmen beim Arbeitgeber zu einem Integrationspraktikum.

Die Debatte um die Arbeitspflicht für Flüchtlinge zeigt die Komplexität des Themas Integration und Arbeitsmarktpolitik. Eine sorgfältige Evaluation der Maßnahme wird notwendig sein, um ihre Wirksamkeit und mögliche Nebenwirkungen zu beurteilen.

Sofern die Gesetzesänderung beschlossen wird, womit zu rechnen ist, wird interessant sein zu sehen, ob Arbeitgeber der freien Wohlfahrtspflege diese Integrationsinstrumente nutzen oder aus ethischen und moralischen Gründen darauf verzichten werden.

Im Zuge der Stärkung des Forderns zulasten des Förderns könnten künftig andere ELB, die keine Flüchtlinge sind, zur Arbeit verpflichtetet werden – man muss lediglich den Passus mit dem Integrationskurs als Voraussetzung streichen. Der Einstieg wäre gemacht.

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