Geringverdiener sind (bei der EU) definiert als ArbeitnehmerInnen (ohne Auszubildende), die zwei Drittel oder weniger des nationalen Median-Bruttostundenverdienstes in dem jeweiligen Land verdienen. Bei vollzeitbeschäftigten ArbeitnehmerInnen stellt dies die Armutsgrenze dar, unter der keine angemessene Existenzsicherung gewährleistet ist. So sind die überdurchschnittlich im Niedriglohnsektor Beschäftigten auch die auf dem Arbeitsmarkt besonders Benachteiligten.
Die Niedriglohnsektoren in den verschiedenen Ländern sind u. a. gewachsen, weil gesetzliche Regelungen oder ausreichende Mindestlöhne fehlten, Gewerkschaften in Lohnverhandlungen schwächer wurden oder weil es – wie in Deutschland – politisch mit der Umsetzung des sog. Hartz-Konzeptes gefördert wurde.
2005 sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder:
„Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. Ich rate allen, die sich damit beschäftigen, sich mit den Gegebenheiten auseinander zu setzen, und nicht nur mit den Berichten über die Gegebenheiten. Deutschland neigt dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, obwohl es das Falscheste ist, was man eigentlich tun kann. Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt.“
Die Beschäftigung im Niedriglohnsektor bringt zahlreichen Studien zufolge Probleme mit sich: schlechtere Arbeitsbedingungen, schlechtere soziale Absicherung, schlechtere Chancen auf Weiterbildung und Karriere, geringeres Arbeitslosen-, Kurzarbeiter- oder Krankengeld und Altersarmut.
In den europäischen Ländern hat sich die durchschnittliche Größe des Niedriglohnsektors zwischen 2006 und 2018 verkleinert – von 16,6 % auf 15 %.
Dabei gab es eine große Bandbreite in den Veränderungen zwischen 2018 und 2006. Auffällig ist beispielsweise Portugal, wo in diesem Zeitraum der Anteil von 20,7 % auf 4 % zurückging – eine Reduktion von 16,8 %. Auch Ungarn hat seinen Niedriglohnsektor um über 10 % auf 11,6 % gesenkt. Den größten Zuwachs hatte Belgien (gefolgt von Griechenland), um +6,9 %, auf nun 13,7 %. In Deutschland nahm der bereits große Niedriglohnsektor um 0,4 % auf 20,7 % zu, und das bei einem bereits hohen Niveau. Jede/r Fünfte Beschäftigte in Deutschland arbeitet an oder unter der Armutsgrenze – das fünffache von Schweden. Auch die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in 2015 hat in Deutschland den Anteil nicht reduziert.
Wie sieht der Stand 2018 aus, dem Jahr der zuletzt verfügbaren Zahlen der EU?
Den größten Niedriglohnsektor weist Lettland auf (23,5 %). Einen Niedriglohnsektor mit einem Anteil von 20 und mehr Prozent haben:
- Lettland
- Litauen
- Estland
- Polen
- Bulgarien
- Deutschland
- Rumänien
Man könnte sagen, dass sich Deutschland in einer Gruppe von postsozialistischen Ländern befindet.
Den kleinsten Niedriglohnsektor hat Schweden mit 3,6 %. Die Gruppe der Länder mit einem Anteil von kleiner als 10 % besteht aus:
- Norwegen
- Dänemark
- Frankreich
- Italien
- Finnland
- Portugal
- Schweden
Diese Gruppe besteht überwiegend aus Ländern, die Universalität als oberstes Gestaltungsprinzip verfolgen, also soziale Sicherheit für die gesamte Wohnbevölkerung (sog. Skandinavischer oder sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat).
Fazit
Obgleich in Deutschland die Arbeitslosenquote über Jahre gesunken ist, wurde der Niedriglohnsektor parallel noch ausgeweitet. Die Beschäftigung im Niedriglohnsektor ist kein Sprungbrett in ein besseres Arbeitsmarktsegment.
Die Reduzierung der Arbeitslosigkeit war verbundenen mit nicht existenzsichernden Löhnen und den beschrieben negativen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft (auch fiskalisch, denn aus Steuermitteln werden aufstockend Arbeitslosengeld II und Grundsicherung im Alter finanziert).
Der Mindestlohn müsste über die Schwelle von 10,80€ pro Stunde (Wert für 2017) gehoben werden, um damit den Niedriglohnsektor zu reduzieren. Im Januar 2021 liegt des Mindestlohn bei 9,50€/h. Das zeigt, dass weitere staatliche Maßnahmen nötig sind, da Appelle an Arbeitgeber offenbar ohne Wirkung sind.