Über- oder Untergewicht ist kein anerkanntes Diskriminierungsmerkmal. Und dennoch fühlen sich zahlreiche Menschen aufgrund ihres Gewichts diskriminiert.
Dazu gab es 2019 eine repräsentative Bevölkerungsumfrage* ((Strukturelle) Diskriminierung, Mai 2019. Eine Studie von Kantar, Public Division im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA)). Aus diesen Datensätzen lässt sich das Ausmaß von Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Gewichts genauer bestimmen.
An der Befragung haben 1.060 Personen im Alter von über 18 Jahren teilgenommen**. Von den Befragten erklärten 10,4 %, dass sie persönlich eine Diskriminierung aufgrund ihres Gewichts in den letzten drei Jahren erlebt haben. Dabei sind Frauen (63,4 %) häufiger als Männer (36,6 %) betroffen.
Im Folgenden werden Ergebnisse dieser Befragten genauer betrachtet, die Zahlen wurden vom Autor selbst berechnet.
In zahlreichen Bereichen wird die Diskriminierung erlebt. Als Antwortmöglichkeiten waren möglich: Häufig, Gelegentlich, Selten, Nie, Weiß nicht. Für die nachfolgende Darstellung wurden die Antworten „Häufig, Gelegentlich, Selten“ zusammengefasst. Die Antwortkategorie „Weiß nicht“ kam zweimal zu 7,8 % bzw. 7,7 % vor, ansonsten lagen sie zwischen 0,3 % und 4,9 %, die übrigen Angaben sind demnach „Nie“.
Etwa vier Fünftel der Betroffenen wurden in der Öffentlichkeit, in Geschäften oder im Dienstleistungsbereich oder im Arbeitsleben diskriminiert. Mehr als zwei Drittel fühlten sich nach eigenen Angaben auch schon im Gesundheits- und Pflegebereich, in der Freizeit und bei Ämtern und Behörden diskriminiert. Die Diskriminierung findet in vielen verschiedenen Bereichen im großen Umfang statt.
Lediglich zwei Bereiche wurden von weniger als der Hälfte genannt: der Bildungsbereich und bei der Polizei.
Wenn man lediglich die Antwort „häufig“ heranzieht, dann steht die Diskriminierung im Arbeitsleben an erster Stelle (26,8 % der Betroffenen) und auf dem Wohnungsmarkt an zweiter Stelle (23,9 % der Betroffenen). Offensichtlich gibt es hier wiederholte Benachteiligungen aufgrund des Gewichts.
Bei verschiedenen Dimensionen von Diskriminierungen waren die Antwortmöglichkeiten Ja, Nein, Weiß nicht. Nachfolgend werden die wesentlichen Ja-Antworten zusammengefasst.
Unter den materiellen Benachteiligungen berichtet mehr als die Hälfte der Personen mit Diskriminierungserfahrung, dass ihre Leistungen vergleichsweise schlechter bewertet wurden (61,9 %) und ihnen ein Antrag abgelehnt oder eine Leistung verwehrt wurde, die sie aus subjektiver Sicht hätte bekommen müssen. Annähernd die Hälfte (47,9 %) meint, dass sie weniger Gehalt als andere bei vergleichbarer Tätigkeit erhielten weniger (41,7 %). Rund 18 % der Betroffenen gibt an, wegen des Diskriminierungsmerkmals gekündigt worden zu sein und 34,8 % aufgrund ihres Gewichts nicht eingestellt worden zu sein. Da Gewicht kein Diskriminierungsmerkmal gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist, können die Betroffen hier nicht dagegen vorgehen,
Im Rahmen sozialer Herabwürdigung berichten drei Viertel der Betroffenen von Ausgrenzung, Opfer abwertender Witze und Kommentare und unangebrachten Fragen zum Privatleben. Mehr als der Hälfte wurden Rechte aberkannt, die andere Personen haben (55,3 %) und außerhalb des Internets beleidigt oder beschimpft (62,6 %).
Eine extreme Form von Diskriminierung stellen körperliche Übergriffe und Bedrohungen dar. Drei Zehntel der Betroffenen wurde bereits körperlich bedroht und haben körperliche sexualisierte Übergriffe, wie z.B. ungewollte Berührungen, erlebt. Jede/r sechste Befragte wurde schon einmal körperlich angegriffen (15,9 %).
Weitere Folgen für die Betroffenen sind neben anderen
- seelische Belastungen (84,7 %),
- größeres Misstrauen (91,6 %)
- Frustration (88,0 %)
Wenn man den Anteil der Menschen, die nach der Befragung persönlich eine Diskriminierung aufgrund des Gewichts in den letzten drei Jahren erlebt haben, auf die Bevölkerung Deutschlands im Alter von 18 bis 85 Jahren hochrechnet, dann waren 2019 geschätzt 6,9 Mio. Menschen von einer Diskriminierungserfahrung aufgrund des Gewichts betroffen.
Die Erwartungen an die Politik, etwas gegen Diskriminierung aufgrund des Gewichts zu ändern, sind bei den Betroffenen sehr groß. Aber auch rund 83 % aller Befragten (1.060) meinen, dass die bestehenden Gesetze gegen Diskriminierung besser durchgesetzt werden müssen. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist zum Thema Gewicht gar nichts zu finden. Für die Betroffenen kann allenfalls der folgende Satz herangezogen werden: „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten.“ Über- und Untergewicht stellen eine Lücke bei der Antidiskriminierung dar, die sehr bald geschlossen werden sollte. Bislang gibt es keine Schutzrechte für Menschen, die aufgrund ihres Gewichtes diskriminiert werden.
*GESIS Datenarchiv, Köln. ZA6735 Datenfile Version 1.0.0, https://doi.org/10.4232/1.13402
**Die absoluten Zahlen sind zur Korrektur der Ausfälle durch Anpassung der Strukturen der Stichprobe an die Strukturen der Grundgesamtheit gewichtet.