Im Jahresdurchschnitt 2023 waren 62.766 Regelleistungs-Bedarfsgemeinschaften (RL-BG) mit mindestens einem selbständig Erwerbstätigen im Leistungsbezug SGB II. Im August 2023 waren es 64.500 selbständig erwerbstätige Leistungsberechtigte (ELB), etwa 7,8% der erwerbstätigen ELB. (in 2022: 8,4%; (siehe auch hier). Der Anteil der selbständigen ELB an den erwerbstätigen ELB ist in Ostdeutschland fast zweimal so hoch wie in Westdeutschland (11,83 % zu 6,62 %; in Weimar: 21,8 %, in Solingen: 1,6%).
Über die Selbständigen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende wird in der Debatte um das Bürgergeld nicht gesprochen. Dabei ist ihre Zahl größer als die der vermeintlichen “Totalverweigerer”. Das ist interessant, dass diejenigen, die dem freien Unternehmertum das Wort reden, hier nicht hinschauen.
Weiterlesen: Selbständige in der Grundsicherung: vergessen oder verschont?Neben diesem Faktum sind zwei weitere Besonderheiten sind auffällig:
Der monatliche Zahlungsanspruch einer RL-BG mit mindestens einem selbständig Erwerbstätigen beträgt 1.210 Euro in 2023. Teilzeitbeschäftigte (ohne Auszubildende) bekommen weniger ausgezahlt, nämlich 997 Euro. Der Durchschnitt bezogen auf alle RL-BG liegt bei 1.222 Euro und der für abhängig Beschäftigte bei 1132 Euro . Trotz selbständiger Tätigkeit erhält ein Selbständigen-Haushalt rund 80 Euro mehr als abhängig Beschäftigte und nur 11 Euro weniger als der Durchschnitt der BG.
Da stellt sich die Frage, worin die Selbständigkeit besteht.
Eine weitere Auffälligkeit stellt die Dauer des Leistungsbezugs dar.
Im Juni 2024 waren 1.750 erwerbstätige ELB mit Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit 4 Jahre und länger im Leistungsbezug, das entspricht 1,65% aller ELB mit dieser Dauer des Leistungsbezugs. Ihr Anteil an den Selbständigen-ELB beträgt rund 2,7%.
Für diese Gruppe ist das Bürgergeld ein langfristiger Einkommenszuschuss oder Grundeinkommen.
Die Zahl erscheint nicht sehr groß; allein die Tatsache, dass es überhaupt Selbständige gibt, die seit 4 Jahren und länger Bürgergeld beziehen ist nicht nachvollziehbar. Denn auch für sie gilt der Grundsatz des Forderns, dass heißt, es kann ihnen eine abhängige Beschäftigung zugemutet werden, um ihren Hilfebedarf zu reduzieren, wenn die selbständige Tätigkeit dies nicht bewirkt.
Damit ein(e) Selbständige(r) Bürgergeld beziehen kann, muss die selbständige Tätigkeit tragfähig sein und damit in angemessener Zeit den Leistungsbezug dauerhaft beenden oder verringern. Das ergibt sich u. a. aus dem Gesetzestext: § 16c (3) SGB II:
“Leistungen zur Eingliederung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit aufnehmen oder ausüben, können nur gewährt werden, wenn zu erwarten ist, dass die selbständige Tätigkeit wirtschaftlich tragfähig ist und die Hilfebedürftigkeit durch die selbständige Tätigkeit innerhalb eines angemessenen Zeitraums dauerhaft überwunden oder verringert wird.”
Nach § 16b SGB II scheinen maximal zwei Jahre als angemessen. Dazu gibt es Weisungen der Bundesagentur für Arbeit.
Der Bundesrechnungshof moniert, dass die Tragfähigkeit der Selbständigkeit und die Möglichkeit, die Hilfebedürftigkeit damit zu überwinden, zu wenig geprüft und die Selbständigen zu wenig beraten werden.
Selbständigkeit kann bei Einzelnen eine gute Alternative zur abhängigen Beschäftigung darstellen. Diese wird aber seit Wegfall der Ich-AG kaum gefördert.
Selbständige mit mehrjährigen Bürgergeld-Bezug werden im Unterschied zu “Totalverweigerern” entweder vergessen oder verschont – vor allem von jenen, die das Bürgergeld als zu umfangreich kritisieren.