Wegfall der Zusätzlichkeit für mehr Pflichtarbeit für Flüchtlinge

Der Bund und die Länder wollen die „Pflichtarbeit“ für Flüchtlinge ausweiten. Dies gilt auch für Flüchtlinge, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen.

„Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschef der Länder sind der Auffassung, dass die bestehenden Regelungen zu Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in breiterem Maße genutzt werden sollten. Die bestehenden Regelungen zur „Zusätzlichkeit“ der Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen gestrichen werden. Die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Mitwirkungspflichten müssen effektiver durchgesetzt werden.“

(Protokoll der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 6. November 2023)

Im Asylbewerberleistungsgesetz können nach § 5 Flüchtlinge zu einer zumutbaren Arbeit im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit (AGH) sanktionsbewehrt verpflichtet werden (s. Hammer: Pflichtarbeit für Asylbewerber? Gibt es schon.).

§ 5 (1) In Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und in vergleichbaren Einrichtungen sollen Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden; von der Bereitstellung dieser Arbeitsgelegenheiten unberührt bleibt die Verpflichtung der Leistungsberechtigten, Tätigkeiten der Selbstversorgung zu erledigen. Im übrigen sollen soweit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde.

§ 5 (4) Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet. Bei unbegründeter Ablehnung einer solchen Tätigkeit besteht nur Anspruch auf Leistungen entsprechend § 1a Absatz 1. Der Leistungsberechtigte ist vorher entsprechend zu belehren.

Hervorhebung: AH

Bisher wurde diese Rechtsgrundlage kaum genutzt, weil die AGH kommunal finanziert werden müssen (s. Hammer: 25 Jahre Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – Entwicklung 1994 bis 2019). Andere Wege wie die Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen von 2016 bis 2020 waren erfolglos und wurden dem Vergessen anheimgegeben (Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen 2016-2020: eine Fehleinschätzung?)

Voraussetzung einer AGH ist unter anderem, dass diese AGH „zusätzlich“ sind. Das Kriterium der Zusätzlichkeit soll sicherstellen, dass Arbeiten in einer AGH nur dann finanziell gefördert und durchgeführt werden, wenn sie ohne die Förderung nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden (s. auch Umfang zusätzlicher Arbeiten in der Arbeitsmarktförderung 2015 und 2016).

Um die beschlossene verstärkte Arbeitsverpflichtung auch durchsetzen zu können, braucht es mehr Arbeit, die von Flüchtlingen erledigt werden kann. Das Kriterium Zusätzlichkeit ist dabei eher hinderlich. Die Bundesregierung plant nun für Anfang 2024, dass das Kriterium der Zusätzlichkeit in § 5 AsylbLG als Anforderung künftig entfällt.

Als Argument für die Streichung dieses Kriteriums führt der Bund allerdings den damit verbundenen hohen Prüfaufwand für die Behörden an.

Ohne dieses Kriterium könnten AsylbLG-Berechtigte jede Art von Arbeit (auch Pflichtarbeiten wie eine Verkehrssicherungspflicht) bei staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern verrichten. Vorstellbar ist, dass der Bund auch Arbeitgeber der gewinnorientierten Privatwirtschaft zulässt, was je nach Interpretation des § 5 AsylbLG bereits auch jetzt schon möglich sein könnte.

Bereits 1927 wurde die Zusätzlichkeit geregelt:

§ 91 (2) Den Arbeitslosen dürfen nur solche Arbeiten zugewiesen werden, die 1. sonst überhaupt nicht oder nicht zu dieser Zeit oder nicht in diesem Umfange ausgeführt werden würden,…“

(Gesetz über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 16. Juli 1927)

Dabei handelte es sich in der Regel allerdings um eine befristete sozialversicherte Beschäftigung bei Kommunalverwaltungen (ähnlich wie ABM oder AGH in der Entgeltvariante). Während der Wirtschaftskrise in den 1920ern fand erstmals in großem Umfang die Heranziehung von Fürsorgeempfänger*innen zur viel billigeren Fürsorgepflichtarbeit statt, die durch „Anweisung angemessener Arbeit gemeinnütziger Art“ keinen Arbeitsvertrag begründete und eine Mehraufwandszahlung für die Arbeitslosen vorsah (so geregelt in § 19 Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 – also vor genau 100 Jahren; ähnlich wie AGH mit Mehraufwand im SGB II und AsylblG).

Die Anforderung der Gemeinnützigkeit der Arbeit ging mit dem Ende des Bundessozialhilfegesetzes 2004 verloren. Dieses Kriterium ist seitdem weder im SGB II noch im AsylbLG eine Anforderung an die zu verrichtenden Arbeiten.

Der Wegfall des Kriteriums der „Zusätzlichkeit“ könnte zu negativen, ordnungspolitischen Effekten auf dem Arbeitsmarkt oder bei Unternehmen führen:

  • Verdrängungseffekte, zulasten von Unternehmen, wenn ein Unternehmen mit einem Träger konkurriert, welcher günstige AGH-Kräfte einsetzen kann
  • Substitution von Arbeitsplätzen, wenn versicherungspflichtige Arbeitsplätze in mehrere Asyl-AGH umgewandelt werden würden,
  • Mitnahmeeffekte, wenn Lohnkosten eingespart werden würden, die man auch sonst erbracht hätte.
  • Umsetzung von Pflichtarbeiten bei Kommunen durch AGH stellt eine Kombination dieser Effekte dar.

Diese ordnungspolitischen Gefahren sind aktuell durch das Kriterium der Zusätzlichkeit im AsylbLG (noch) stark minimiert. Solange das Kriterium existiert, wird es in der Regel auch kontrolliert. Bislang entfiel das Kriterium der Zusätzlichkeit allenfalls bei Arbeiten, die mit einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag verbunden waren.

Im SGB II besteht eine restriktivere Handhabung der AGH (§16d SGB II), da neben der Zusätzlichkeit weitere Kriterien (Wettbewerbsneutralität, öffentliches Interesse) gelten (s. Zusätzlichkeit im Einsatz von Asylbewerbenden im Borkenkäfermonitoring). Diese Restriktionen wurden seit der Einführung des SGB II verschärft, eben aus vorgenannten ordnungspolitischen Überlegungen.

Sollte das Kriterium der Zusätzlichkeit für AGH im AsylbLG fallen, dann müsste das analog auch für die AGH im SGB II gelten.

In jedem Fall sollte vorher überlegt werden, ob und wie gut die AGH im AsylbLG eine Arbeitsintegration fördern.

Literatur

Hammer, Andreas: Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse. In: Forum Arbeit, Nr. 4/2016, S. 16-19

Hammer, Andreas: Arbeitsgelegenheiten 2010: Ergebnisse einer Befragung von am Markt arbeitenden Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen. In: Forum Arbeit 3/2010, S. 34-37

Hammer, Andreas: Ergebnisse der Befragung von am Markt arbeitenden Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen zu AGH-MAE und zur freien Förderung. In: Forum Arbeit 2/2009, S. 15-19

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