Angesichts nach der SARS-CoV2-Pandemie zunehmenden Abwertung von Leistungsberechtigten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im allgemeinen und Flüchtlingen im besonderen in Politik und Medien, stellt sich die Frage, ob Staatsangehörigkeit oder Migrationshintergrund sich im Zeitverlauf in diesem Rechtskreis verändert haben. Die Statistiken zeigen eine bemerkenswerte Entwicklung: Während die Zahl der deutschen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB) kontinuierlich sank, stieg die Zahl der nichtdeutschen Leistungsberechtigten an. Eine Analyse zeigt die konkrete Entwicklung auf und diskutiert gesellschaftliche und politische Folgen.
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Die relative Zahl von nichtdeutschen ELB ist im Gegensatz zu den deutschen ELB seit 2007, also seit mehr als 15 Jahren, gestiegen. Zwei von drei ELB haben einen Migrationshintergrund und mehr als zwei von fünf ELB haben eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit im Jahr 2022 bzw. 2023. Trotz des Anstiegs bei nichtdeutschen Leistungsberechtigten sank die Gesamtzahl der Leistungsberechtigten von etwa 5,24 Millionen im Jahr 2007 auf rund 3,93 Millionen im Jahr 2023. Dies unterstreicht die insgesamt positive Entwicklung des deutschen Arbeitsmarktes und Sozialsystems.
Der steigende Anteil der ELB mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit könnte in der politischen Debatte instrumentalisiert und als gesellschaftliches Problem verstärkt hervorgehoben werden. Wenn einerseits die bisherigen Regierungsparteien den Wahlberechtigten signalisieren, dass es nicht mehr Geld zu Verteilen gibt (Schuldenbremse, andere notwendige steigende Ausgaben für Militär, Energiewende usw.), dann könnte der Eindruck entstehen, dass die Sozialleistungen für Deutsche nicht besser ausfallen können, weil die ausländischen Leistungsberechtigten absolut und relativ zunehmen. Das SGB II (Leistungssystem und Leistungsberechtigte) kann so unter Druck kommen. Eine solche Vorgehensweise ist hinsichtlich Wählerstimmen bei Bundestagswahlen für Parteien risikolos, da nichtdeutsche Staatsangehörige nicht wahlberechtigt sind.
Eine politische Instrumentalisierung und „Schlechtreden“ der Grundsicherung könnte dazuführen, dass die Gesellschaft noch mehr polarisiert wird und dass Arbeitgeber noch weniger als bisher bereit sind (Hammer 2024a) als negativ „markierte“ arbeitsuchende ELB auszubilden oder zu beschäftigen.
Die Zunahme der ELB mit Migrationshintergrund oder nichtdeutscher Staatsangehörigkeit unterstreicht einerseits die Notwendigkeit einer effektiven Integrationspolitik – unabhängig vom einem Fluchthintergrund -, die Spracherwerb, Bildung und Arbeitsmarktintegration in den Mittelpunkt stellt, um den Trend umzukehren und die Abhängigkeit von Sozialleistungen zu reduzieren. Andererseits scheinen Aktivitäten erforderlich um sowohl die gesellschaftliche Kohäsion als auch die wirtschaftliche Stabilität zu fördern. Dabei sollten die langfristigen demografischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Migration auf das deutsche Sozialsystem berücksichtigt werden.
Basierend auf aktuellen Daten sollten evidenzbasierte politische Maßnahmen entwickelt werden, die sowohl die Integration fördern als auch den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes gerecht werden.