Im Rahmen der repräsentativen Bevölkerungsumfrage „Vertrauen in Staat und Gesellschaft während der Corona-Krise“ wurden von der Forschungsgruppe Wahlen Telefonfeld GmbH vom 29. Juni bis 06. Juli 2020 eine telefonische Umfrage unter 2.026 zufällig ausgewählten deutschsprachigen Bürgerinnen und Bürgern ab 18 Jahren durchgeführt (siehe hier). Die Umfrage wurde 2021 wiederholt (Erhebungszeitraum: 15.03. bis 22.03.2021; Anzahl der Befragten: 1.511).
Aus der Umfrage 2021 soll im Folgenden die Erfahrungen der Befragten mit verschiedenen Behörden dargestellt werden.
Die PolitikerInnen, die das Sondierungspapier für die Regierungsbildung geschrieben haben oder schreiben ließen, haben sprachliche Feinheiten eingebaut.
Die betroffenen Regionen [Anm. AH: des Kohleausstiegsgesetzes] können weiterhin auf solidarische Unterstützung zählen. Maßnahmen des Strukturstärkungsgesetzes werden vorgezogen bzw. beschleunigt. Die flankierenden arbeitspolitischen Maßnahmen wie das Anpassungsgeld werden entsprechend angepasst. Niemand wird ins Bergfreie fallen. Geprüft wird die Errichtung einer Stiftung oder Gesellschaft, die den Rückbau der Kohleverstromung und die Renaturierung organisiert.
Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, 2021, S. 3; (Hervorhebungen: AH)
Zu dieser Redewendung heißt es bei Wikipedia:
Während des Regalbergbaus mussten zur Finanzierung der Bergbeamten besondere Abgaben von den Bergbautreibenden entrichtet werden. Diese Abgaben waren das Rezessgeld und das Quatembergeld und wurden in den meisten deutschen Staaten erhoben. Die Abgaben wurden je nach Bergrevier teilweise zusammen oder getrennt veranschlagt, die Höhe der Abgaben wurde nach bestimmten Sätzen festgesetzt. Diese Sätze waren in der Regel abhängig von der Größe des verliehenen Grubenfeldes.
Das Rezessgeld musste für jedes vom Staat verliehene Bergwerkseigentum entrichtet werden. Dabei war es unerheblich, ob das Bergwerk in Betrieb war oder nicht. Das Rezessgeld musste regelmäßig zum Quartal an das Bergamt abgeführt werden. Hatte ein Bergwerkseigentümer das Rezessgeld am Ende des Quartals nicht bezahlt, so wurde er zunächst durch ein förmliches Schreiben vom Bergamt an die Zahlung erinnert. Wurde das Rezessgeld trotz Erinnerung in den drei darauf folgenden Quartalen (in Summe also vier Quartale) auch nicht bezahlt, so fiel das Grubenfeld oder Bergwerk an den Staat zurück und konnte an einen anderen Muter verliehen werden. Diesen Vorgang bezeichnete man mit dem Begriff ins Bergfreie fallen. Diese Regelung war nach der damaligen Fassung der Berggesetze notwendig, damit die erforderliche Freifahrung eines ins Bergfreie gefallenen Bergwerks auch begründet werden konnte.
Heute ist damit gemeint, dass kein Bergmann nach Schließung einer Zeche arbeitslos werden sollte.
Nun ist wohl anzunehmen, dass die Sondierenden durch den Sprachgebrauch „ins Bergfreie fallen“ den Betroffenen zeigen möchten, dass sie ihre Sprache sprechen. Auch um den Preis, dass viele andere LeserInnen des Sondierungspapiers außerhalb des Bergbaus mit dieser Redewendung nichts anfangen können. Man könnte der Einsatz dieser Redewendung auch als Anbiederung deuten. Die Sondierenden hätte demnach auch verständlicher schreiben können, dass wegen den vorgesehenen Maßnahmen niemand arbeitslos werden soll.
Das wäre dann allerdings dann ein Versprechen gewesen, dass von einer viel größeren Gruppe hätte überprüft werden können, ob es eingehalten wurde oder nicht. Das hätte auch den Nachteil gehabt, dass man das Wort „arbeitslos“ oder „Arbeitslosigkeit“ im Sondierungspapier hätte verwenden müssen. Obwohl Massenarbeitslosigkeit seit Jahren ein Problem darstellt (siehe hier), haben die Sondierenden darauf geachtet, dass das Wort in ihrem Ergebnispapier nicht vorkommt.
Auf die Ansage „Geprüft wird die Errichtung einer Stiftung oder Gesellschaft, die den Rückbau der Kohleverstromung und die Renaturierung organisiert.“ ist auf die Ruhrkohle AG bzw. die RAG-Stiftung hinzuweisen, die den Nachbergbau organisiert. Auch für die Ruhrkohle AG galt die Devise, dass niemand ins Bergfreie fallen sollte. Die Redaktion Revierkohle schrieb, dass dennoch 2019 200 Menschen eine Kündigung bekommen haben (https://www.revierkohle.de/rag-niemand-faellt-ins-bergfreie/). Die Betroffenen hatten lediglich befristete oder Zeitarbeitsverträge angeboten bekommen mit schlechterer Bezahlung.
Ziehen die Sondierenden prekäre Arbeit in Betracht um ihr Versprechen, dass niemand ins Bergfreie fällt, einzuhalten oder schließen sie dies aus?
Nach 15 Jahren Fördern und Fordern in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II, sog. Hartz IV) und einem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom November 2019, welches Sanktionen in diesem Rechtskreis für teilweise verfassungswidrig erklärt hat, haben sich die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP in ihren Sondierungen auf die Beibehaltung von Mitwirkungspflichten verständigt. Gleichzeitig werden fehlende Anreize der Leistungsberechtigten zur Arbeitsaufnahme behauptet (siehe hier). Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings darauf hingewiesen, dass Sanktionen, die zu einer Senkung der Transferleistung unter das grundgesetzlich garantierte sozio-kulturelle Existenzminimum führen, begründet sein müssen und die unterstellte Wirkung – Arbeitsaufnahme – dadurch eintritt.
Welche Wirkung haben nun Sanktionen auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit?
Dies lässt sich beispielsweise an zwei Größen berechnen: die Integrationsquote (zu erklärende Variable) und der Umfang der Leistungskürzung durch Sanktionen.
Die Integrationsquote K2 ist eine Kennzahl, die dem Leistungsvergleich zwischen den Jobcenter dient. Die Kennzahl misst die Zahl der Integrationen in den vergangenen zwölf Monaten im Verhältnis zum durchschnittlichen Bestand an erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in diesem Zeitraum (Datenquelle: Servicestelle SGB II).
Für die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB) im Bestand wird festgestellt, ob zum Stichtag mindestens eine wirksame Sanktion vorliegt. Auf Basis dieser Bestandszählung wird dargestellt, wie viele erwerbsfähige Leistungsberechtigte zum Stichtag sanktioniert sind und wie sich die Sanktionen auf die Höhe des Leistungsbezugs auswirken. Dies drückt den Anteil der Kürzung durch die aktuell wirksamen Sanktionen einer Person an dem laufenden Leistungsanspruch, den die Person ohne Sanktionierung gehabt hätte (Datenquelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit).
Eine Regressionsanalyse für die Monate Juli 2016 bis einschließlich Oktober 2019 (Zeitraum vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts) für alle Jobcenter auf der Ebene Deutschlands zeigt einen negativen Zusammenhang: je höher der Anteil der Kürzung durch Sanktionen in einem Jobcenter, desto niedriger ist die Integrationsquote. Steigt der Anteil der Kürzung durch Sanktionen eines durchschnittlichen Jobcenters um einen Prozentpunkt, dann sinkt die Integrationsquote K2 um 1,83 Prozentpunkte.
Für den Zeitraum Dezember 2019 bis einschließlich Juni 2021 ist die Richtung genau so: je höher der Anteil der der Kürzung durch Sanktionen in einem Jobcenter, desto niedriger ist die Integrationsquote. Der Einfluss ist allerdings geringer: Steigt der Anteil der der Kürzung durch Sanktionen eines durchschnittlichen Jobcenters um einen Prozentpunkt, dann sinkt die Integrationsquote K2 um 0,7 Prozentpunkte in diesem Zeitraum. Wie dieser Rückgang von 1,83 auf 0,7 Prozentpunkte erklärt werden kann, lässt sich aus den Daten nicht erschließen. Sicherlich hat die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts einen Anteil daran. Die besonderen Bedingungen der Sars-CoV-2-Pandemie spielen vermutlich gleichfalls eine Rolle.
Der Wert für den November 2019 wurde nicht berücksichtigt, weil in diesem Monat sowohl die alte wie die neue Rechtslage gegeben war.
Fazit:
Die Senkung der Transferleistung der Jobcenter unter das Existenzminimum durch Einsatz von Sanktionen zur verstärkten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ist fragwürdig. Diese sollte bei der Änderung der Rechtslage durch die neue Bundesregierung berücksichtigt werden.
Die SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP haben sich in ihren Sondierungen mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; sog. Hartz IV) beschäftigt und ein „Bürgergeld“ in den Mittelpunkt der geplanten Vorhaben gestellt. Konzepte des „Bürgergeldes“ der letzten Jahre basieren häufig auf der monetaristischen Konzeption von Milton Friedman.
Festgehalten ist:
„Anstelle der bisherigen Grundsicherung (Hartz IV) werden wir ein Bürgergeld einführen. Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert zugänglich sein. Es soll Hilfen zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt stellen. Während der Corona-Krise galten großzügige Regelungen zu Schonvermögen und zur Überprüfung der Wohnungsgröße. Wir prüfen, welche dieser Regeln wir fortsetzen wollen. An Mitwirkungspflichten halten wir fest und prüfen, wie wir hier entbürokratisieren können. Die Zuverdienstmöglichkeiten wollen wir verbessern, mit dem Ziel, Anreize für Erwerbstätigkeit zu erhöhen.“
Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, 2021, S. 6; (Hervorhebungen: AH)
Was positiv oder fortschrittlich klingen soll (Bürgergeld, Würde, Hilfen), kommt einer Fortsetzung des Fördern (Hilfen zur Rückkehr) und Fordern (Mitwirkungspflichten) unter anderem Namen gleich, das dem SGB II von Anfang eingeschrieben wurde. Das Wort „Mitwirkungspflicht“ selbst ist nicht nur eine Beschönigung, sondern auch unlogisch. Mitwirken und Pflicht schließen sich aus, genauso wie „Freiwilligkeitszwang“.
Trotz der Würde des Einzelnen, die auch im Grundgesetz verankert ist, unterstellt und wiederholen die Sondierungspartner von SPD, Grüne und FDP die generelle Behauptung, dass die Arbeitslosen nicht arbeiten wollen. Das zeigt sich sowohl an der geforderten„Mitwirkungspflicht“ als auch an der Annahme, dass es an Anreizen der Arbeitslosen zur Erwerbstätigkeit fehlt. Konsequenterweise haben die Parteien darauf geachtet, dass im gesamten Ergebnispapier das Wort „arbeitslos“ nirgends vorkommt. Arbeitslosigkeit wird als existierendes Problem ausgeblendet.
Eingeblendet in die Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler werden unzureichende Arbeitsanreizwirkungen, welche angeblich die Reintegration der Arbeitslosen in Beschäftigung hemmen. Unausgesprochen wird den LeserInnen signalisiert, dass zusätzlich erzieltes Erwerbseinkommen unterhalb der Leistungs- oder Bedarfsschwelle wegen der Anrechnung nicht lohnt und so die Leistungsanreize durch staatliches Verhandeln verkümmern und sich die Betroffenen mehr oder weniger freiwillig im System einrichten, statt Arbeit zu suchen und aufzunehmen. Deshalb soll auch lediglich der Zuverdienst verbessert werden, statt Schritte auf dem Weg zur existenzsichernden Beschäftigung einzuschlagen. Das entwertet die Bedeutung des Sozialstaats.
Dass es für alle Arbeitslosen, gesetzt den Fall, alle würden arbeiten wollen, gar nicht genügend offene Stellen gibt, wissen auch die PolitikerInnen(September 2021: Arbeitslose: 1,9 Mio., gemeldete Stellen bei der BA: 0,6 Mio.; Lücke: 1,3 Mio.). Auch wissen sie, dass Diskriminierung aufgrund von ethnischer oder sozialer Herkunft oder Alter auf dem Arbeitsmarkt gleichfalls eine hemmende Rolle bei der Aufnahme von Beschäftigung spielt. Das wird nicht berücksichtigt.
Dennoch verkünden sie populistisch, dass der Anreiz zum Arbeiten fehlt. Vielleicht geht es lediglich darum, dass die Arbeitslosen zu wenig Anreize haben, zu niedrigen Löhnen oder prekär zu arbeiten.
Mit der geplanten Erhöhung des anrechnungsfreien Einkommens im SGB II sind allerdings auch unerwünschte Folgen verbunden.
Durch die Erhöhung des anrechnungsfreien Einkommens würde die Zahl der Leistungsberechtigten unter sonst gleichen Bedingungen erhöht werden. Das Bürgergeld würde demnach teurer werden als das bisherige System. Deshalb sind einer faktischen Erhöhung der Anreize auch Grenzen gesetzt.
Ein anderes Problem ergibt sich daraus, dass Unternehmen, die einen „Zusatzverdienstler“ beschäftigen, möglicherweise andere Unternehmen verdrängen, die regulär beschäftigen. Neben der Schaffung zusätzlicher, mit Bürgergeld subventionierten Arbeitsplätze werden sicherlich auch vorhandene Arbeitsplätze verdrängt.
Vermutlich werden eher Arbeitsplätze zusätzlich entstehen, die nicht tarifbezogen sind (die Gewerkschaften sind wohl weiterhin zu schwach, um dem etwas entgegensetzen zu können) und lediglich dem Mindestlohn unterliegen, der für Langzeitarbeitslose nach geltendem Recht auch unterschritten werden darf. Der Staat subventioniert den Arbeitgeberlohn („Kombilohn“). Es gibt mit dem Bürgergeld dann nicht weniger Arme, sondern mehr erwerbstätige Arme (Working poor; siehe auch hier). Denn bereits jetzt arbeiten sog. Hartz IV-EmpfängerInnen parallel zum Leistungsbezug. Im Jahr 2020 waren rund 24 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (SGB II) erwerbstätig und im Jahr 2019 waren es 26 Prozent.
Dabei gibt es in der gegenwärtigen Grundsicherung für Arbeitsuchende Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Das zeigt das folgende Beispiel exemplarisch.
Alleinstehend, über 25 Jahre alt
arbeitslos
erwerbstätig, Steuerklasse I, 20 Wochenstunden beschäftigt zu 12 Euro pro Stunde brutto
Miete monatlich 400 Euro
Heizungskosten monatlich 50 Euro
Anspruch nach dem SGB II
Regelleistung
446 Euro
446 Euro
Bedarf: Miete, Nebenkosten, Heizung)
450 Euro
450 Euro
Gesamt
896 Euro
Lohn
1.040 Euro brutto
830,70 Euro netto
anrechenbare Einkünfte
537 Euro
Freibetrag inkl. Versicherungspauschale
264 Euro
voraussichtliches Arbeitslosengeld II
896 Euro
359 Euro
Durch Erwerbstätigkeit im beschriebenen Umfang wird das verfügbare Einkommen bereits im gegenwärtigen System um 43,2 Prozent erhöht. Von einer anreizlosen Transferentzugsrate kann hier nicht die Rede sein.
Dem Bundestagswahlprogramm der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach soll der Regelsatz um 50 Euro erhöht werden. Damit würde im vorgenannten Beispiel das verfügbare Einkommen um 49,2 Prozent erhöht werden, also 6 Prozentpunkte mehr als bisher. Die FDP und die SPD machen keine quantitativen Aussagen.
Die vorgeschlagenen Lösungen im Sondierungspapier scheinen eher Teil des Problems zu sein und werden weder Massenarbeitslosigkeit noch prekäre Arbeit wirksam abbauen.
Literatur:
Meinhardt, V. u.a. 1994: „Bürgergeld“. Keine Zauberformel, in: DIW-Wochenbericht Nr. 41/1994, S. 689ff
„Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) soll als Instrument des sog. Teilhabechancengesetzes seit 1.1.2019 die Teilhabe von Langzeitleistungsbeziehenden fördern (siehe auch hier). Dabei geht es um Personen, die in der Regel innerhalb der letzten sieben Jahre sechs Jahre Arbeitslosengeld II bezogen haben, unabhängig davon, ob sie arbeitslos waren oder nicht.
Im Folgenden (und im Download ausführlicher) wird die Situation Baden-Württemberg dargestellt (Zum Bund siehe hier).
Die Nutzung des Instruments verliert an Dynamik. Sowohl für die Eintritte (bereits seit 5/2019) als auch für den Bestand (seit 1/2021) ist ein Rückgang zu beobachten.
Die geplanten Teilnahmedauern liegen mehrheitlich unter 25 Monaten. Die Arbeitgeber bevorzugen eine Förderdauer, in der die Förderquote am höchsten ist und die degressive Förderung noch nicht wirkt. Teilweise gibt es auch sehr kurze Förderdauern. Die Werte für 2019 und 2020 sind denen von 2021 vergleichbar.
Ein Hauptgrund für Austritte sind Kündigung durch Arbeitgeber: 37 % der Austritte (2020) sind darauf zurückzuführen.
Von den Austritten sind 3 von 4 vorzeitig.
Zu den vorzeitige Austritten auf Bundesebene: siehe hier.
Durch den hohen Anteil an vorzeitigen Austritten ergibt sich eine relativ kurze (im Vergleich zur möglichen) durchschnittliche tatsächliche Förderdauer von 9,3 Monaten (2020).
Außerdem sind Creaming-Effekte §16i SGB II zu beobachten: unterdurchschnittliche Förderung von Frauen und Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit (Zahlen auf Bundesebene).
Die Einkommensungleichheit ist in Deutschland seit 30 Jahren massiv gestiegen.
Diese Aussage gilt sowohl für die Markteinkommen (vor Steuerung und Sozialtransfers) als auch für (Einkommen nach Steuern, Abgaben und Transferleistungen), wenn man die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter betrachtet.
Das zeigt die folgende Abbildung.
Quelle der Daten: OECD; 2019: Eurostat; Gini-Index für Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter
Um eine Einkommensungleichverteilung zu messen wird häufig der sog. Gini-Koeffizient oder auch Gini-Index herangezogen. Dabei handelt es sich um ein statistisches Maß, das Werte zwischen 0 (bei einer gleichmäßigen Verteilung) und 1 (wenn nur eine Person das komplette Einkommen erhält, d. h. bei maximaler Ungleichverteilung) annimmt. Eine gleichmäßige Verteilung meint, dass das Einkommen jedes Erwachsenen gleich hoch ist.
In Deutschland stieg die Einkommensungleichverteilung bis zum einem Höhepunkt im Jahr 2004/2005. Danach fiel der Gini-Index etwas bis 2011 um dann wieder anzusteigen.
Die Ungleichheit der Markteinkommen ist seit 2015 etwas stärker gesunken als die verfügbaren Einkommen, die im gleichen Zeitraum eher stagnierten und in 2019 wieder anstiegen.
Bemerkenswert ist die zunehmende Ungleichverteilung des Einkommens auch in Zeiten einer guten Wirtschaftskonjunktur und Beschäftigtenanstieg. Die Verschärfung der Ungleichverteilung erfolgte auch völlig unabhängig davon, welche Parteien die Bundesregierung bildeten. Die Gesetzgebung von 30 Jahren hat hier keinen größeren Senkungsbeitrag bewirkt.
Offensichtlich sind seit mehr als 20 Jahren die Sozialtransfers (einschließlich neuer Leistungen) und die Steuerpolitik kaum in der Lage, die Einkommensungleichheit zu mildern (sinkende absolute Umverteilung). Eine Fortschreibung der bisherigen Politik und Rechtsetzung würde die Entwicklung zu mehr Ungleichheit festigen – eine Änderung ist nötig. Dies gilt noch stärken für die Ungleichheit bei Vermögen, auch im europäischen Vergleich.
Nach der Veröffentlichung der September-Arbeitslosenzahlen durch die Bundesagentur für Arbeit schreibt die Frankfurter Rundschau am 1.10.21:
„Deutschland hat die Corona-Krise bisher gut verkraftet. Und die Arbeitsmarktzahlen deuten noch auf etwas anderes hin. Die Zeiten, in denen sich große Teile der Bevölkerung Sorgen machen mussten, wenn sie ihre Arbeit verloren, sind vorbei. Massenarbeitslosigkeit gehört offenbar der Vergangenheit an. Dafür drohen andere Probleme.“
Björn Hartmann, FR v. 1.10.21, S. 14, https://tinyurl.com/yetcxxrx
Aktuell gibt es rd. 2,5 Mio. Arbeitslose und 3,2 Mio. Unterbeschäftigte (Arbeitslose einschließlich Teilnehmende in Maßnahmen der Arbeitsverwaltung).
Da stellt sich die Fragen, ab wie viel Millionen der FR-Autor von Massenarbeitslosigkeit sprechen würde und sich große Teil der Bevölkerung Sorgen um Arbeitslosigkeit machen müssten. Offensichtlich neigt der Autor dazu, eine Arbeitslosenquote von 10% und mehr als Massenarbeitslosigkeit zu werten:
Die Zeiten zweistelliger Arbeitslosenquoten sind offenbar vorbei.
Das Problem der Massenarbeitslosigkeit wird in diesem Beitrag auf weitere Weisen relativiert. Es wird berichtet, wie die Entwicklung ohne die Corona-Pandemie vermutlich gewesen wäre.
„…die Arbeitslosenquote betrug 5,4 Prozent. Ohne den Corona-Effekt – noch sind 930 000 Beschäftigte in Kurzarbeit – wären es 4,9 Prozent gewesen.“
Dadurch erscheint die Behauptung, Massenarbeitslosigkeit gehört der Vergangenheit an, zahlenmäßig noch deutlicher. Das was-wäre-wenn-ohne-Corona-Szenario mildert ja die Sorgen der Betroffenen ja nicht, denn die Pandemie ist ja da.
Auch in absoluten Zahlen ist die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu 2005 zurückgegangen. Dabei werden die zahlreichen statistischen Änderungen der Definition Arbeitslosigkeit nicht erwähnt. Zudem ist das Vergleichsjahr 2015 wegen der EDV-Umstellung durch die Einführung des SGB II denkbar ungünstig. Würde man 2004 als Bezugsjahr nehmen ist der Unterschied deutlich kleiner.
Außerdem werden nur die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse herangezogen. Minijobber können nicht „arbeitslos“ im statistischen Sinne werden. Dennoch können sie sich Sorgen wegen dem Verlust ihrer Arbeit machen. Und Minijobber haben während der Pandemie in großem Umfang ihre Arbeit verloren.
Der Autor Björn Hartmann ist allerdings noch mutiger als die Bundesagentur für Arbeit: er prognostiziert das Ende der Massenarbeitslosigkeit („gehört der Vergangenheit an“), und nicht nur eine aktuelle Reduzierung.
Die GARTENPARTEI stellt sich zur Bundestagswahl 2021. Einer ihrer Programmpunkte:
„Hartz IV, 1 Euro-Jobs und unbezahlte Praktika sind als Menschen erniedrigende Einrichtungen abzuschaffen.“
Auch wenn man gegen HARTZ IV ist, und seine Abschaffung erreichen will, sollte man dazu sagen, was an die Stelle tritt. Entsprechende Aussagen fehlen im Programm dieser Partei. Die Abschaffung von Hartz IV ohne Alternative wäre für alle Betroffenen schlimmer als die Fortsetzung dieses Regelwerks.
Veröffentlicht unterSGB II|Verschlagwortet mitBundestagswahl|Kommentare deaktiviert für Kleinparteien zur Bundestagswahl 2021
Wir wollen die Arbeitslosenversicherung zu einer solidarischen Arbeitsversicherung weiterentwickeln. Sie soll nicht erst im Fall der Arbeitslosigkeit auf den Plan treten, sondern dabei helfen, diese gar nicht erst entstehen zu lassen.
Bundestagswahlprogramm der SPD 2021, S. 31
Das ist eine neuartige Versicherung, die verhindert, dass der Versicherungsfall eintritt.
Zielführend zur Absicherung des Risikos Arbeitslosigkeit wäre überdies, alle Beschäftigungsverhältnisse versicherungspflichtig bei der Arbeitslosenversicherung (Rechtskreis SGB III) zu machen.
Mit der Formulierung aus dem Bundestagswahlprogramm (https://www.spd.de/zukunftsprogramm/) werden weiterhin nur Personen erreicht und unterstützt, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. Minijobber (rund 5 Mio. Beschäftigte) und alle Beschäftigten des sog. „sozialen Arbeitsmarktes“ (Rechtskreis SGB II) blieben wie bisher ausgeschlossen.
Seit 25 Jahren liegt in Deutschland die Inflationsrate zwischen null und zwei Prozent. Diese Periode unterscheidet sich somit deutlich von früheren. Ausnahmen gab es lediglich 2007 und 2008, also zur Zeit der Weltfinanzkrise. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank mit der Zielinflationsrate von knapp unter zwei Prozent führte seit 2007 (niedrige Zinsen, Wertpapierkauf, Fiskalpakete) nicht zu einer steigenden Inflation, was nach der herrschenden Vollwirtschaftslehre wie dem Monetarismus hätte die Folge sein müssen.
Quelle der Daten: Statistisches Bundesamt
Für 2021 zeichnet sich nun eine Inflationsrate von mehr als zwei Prozent ab. Dies erklären mehrere Gründe:
Rückführung der in der Corona-Pandemie reduzierten Mehrwertsteuersätze auf das frührere höhere Niveau
Einführung einer CO2-Abgabe
Verteuerung der Energiekosten, vor allem beim Öl
Der Warenkorb mit den Gütern, deren Preise verglichen werden, wurde neu zusammengestellt
Die aktuelle Steigerung führt teilweise zu dramatischen Erwartungen in den Medien über die damit verbundenen negativen Folgen. Viele Menschen haben Angst vor einer Geldentwertung.
Wie sieht der Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit aus?