Zum 1.1.2022 ist eine neue Weisung der Bundesagentur für Arbeit für die gemeinsamen Einrichtungen (Jobcenter) zu den Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB sowie eine zur Teilhabe am Arbeitsmarkt nach § 16i SGB II gültig geworden.
In beiden besteht die Aktualisierung darin, dass nunmehr auch RehabilitandInnen mit den genannten Instrumenten gefördert werden können. Dies ist Ausfluss des Teilhabestärkungsgesetzes. Demnach ist seit dem 1.1.2022 für einige Instrumente das Leistungsverbot der Jobcenter für RehabilitandInnen aufgehoben worden. Dazu gehören nicht nur die §§ 16d und i SGB II, sondern noch weitere. Dies hat Gültigkeit, auch wenn hierfür die Weisungen noch nicht aktualisiert wurden (ausführlich hier).
Ältere Menschen sind auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt und werden auch durch Programme und Maßnahmen der Arbeitsverwaltung nicht optimal gefördert (siehe beispielsweise hier).
Zudem werden Menschen wegen ihres (vermeintlich) hohen Alters diskriminiert – nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch in anderen Bereichen. Dazu gab es 2019 eine repräsentative Bevölkerungsumfrage ((Strukturelle) Diskriminierung, Mai 2019. Eine Studie von Kantar, Public Division im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA)). Aus diesen Datensätzen* lässt sich das Ausmaß von Diskriminierung von Menschen aufgrund zu hohen Alters genauer bestimmen.
An der Befragung haben 1.060 Personen im Alter von über 18 Jahren teilgenommen.
Von den Befragten erklärten 7,4 %, dass sie persönlich eine Diskriminierung auf Grund zu hohen Alters in den letzten drei Jahren erlebt haben. Unter denen, die Frage überhaupt beantwortet haben, waren es 21,5%.
Im folgenden werden Ergebnisse dieser Befragten, die 50 Jahre und älter sind, genauer betrachtet. Die absoluten Zahlen sind zur Korrektur der Ausfälle durch Anpassung der Strukturen der Stichprobe an die Strukturen der Grundgesamtheit gewichtet (n=35).
In zahlreichen Bereichen wird die Diskriminierung erlebt. Als Antwortmöglichkeiten waren möglich: Häufig, Gelegentlich, Selten, Nie, Weiß nicht. Für die nachfolgende Darstellung wurden die Antworten „ Häufig, Gelegentlich, Selten“ zusammengefasst.
Etwa drei Viertel der Betroffenen wurden in Geschäften oder im Dienstleistungsbereich oder in der Öffentlichkeit diskriminiert. Mehr als die Hälfte der Betroffenen fühlte sich nach eigenen Angaben in zahlreichen anderen Bereichen diskriminiert. Darunter ist auch der für Ältere relevante Gesundheits- oder Pflegebereich (69,3 %). Auf dem Wohnungsmarkt wurden 44,2 % diskriminiert. Geringer sind die Werte im Bildungsbereich, was naheliegend ist, da über 50-Jährige seltener am Bildungssystem teilnehmen.
Bei verschiedenen Dimensionen von Diskriminierungen waren die Antwortmöglichkeiten Ja, Nein, Weiß nicht. Nachfolgend werden die Ja-Antworten berichtet.
Unter den materiellen Benachteiligungen berichtet mehr als die Hälfte (54,1 %) der Personen mit Diskriminierungserfahrung, dass ihre Leistungen vergleichsweise schlechter bewertet wurden oder ein Antrag abgelehnt oder eine Leistung verwehrt wurde (51,7 %), die sie aus subjektiver Sicht hätte bekommen müssen. Die weiteren Benachteiligungen fallen niedriger aus, weil sie seltener zutreffen können (z. B. Kündigung der Arbeit). Würde man die Daten auf die 50 bis 65-Jährigen begrenzen, würden diese Benachteiligungen höher ausfallen.
Im Rahmen sozialer Herabwürdigung berichten mehr als zwei Drittel der Betroffenen von Ausgrenzung (68,6 %) oder ihnen wurden Rechte aberkannt, die andere Personen haben (64,9 %).
Eine extreme Form von Diskriminierung stellen körperliche Übergriffe und Bedrohungen dar. Mehr als ein Fünftel der Betroffenen wurde körperlich bedroht (21,1 %).
Die Diskriminierung aufgrund von zu hohem Alter im Vergleich zu vor fünf Jahren hat für die Mehrheit der Betroffenen (55,7 % ) zugenommen (Viel mehr verbreitet, Etwas mehr verbreitet, Etwas weniger verbreitet, Viel weniger verbreitet, Weiß nicht).
Außerdem schätzten die Befragten ganz allgemein (also nicht bezogen auf ihre persönlichen Erfahrungen) Diskriminierung in Deutschland ein (Trifft voll und ganz zu, Trifft eher zu, Trifft eher nicht zu, Trifft überhaupt nicht zu, Weiß nicht). Bei der wahrgenommenen gruppenbezogenen Diskriminierung von Menschen aufgrund zu hohen Alters sind fast alle der Ansicht, dass diese Gruppe auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt wird (94,8 %). Und lediglich 28,3 % meinen, dass Ältere mit dem gleichen Respekt wie Jüngere behandelt werden.
Betroffene wurden nach ihren Erwartungen an die Politik gefragt. Die möglichen Antworten (Stimme voll und ganz zu, Stimme eher zu, Stimme eher nicht zu, Stimme überhaupt nicht zu, Weiß nicht) wurden dichotomisiert.
Zu den größten Erwartungen gehören gleicher Lohn für gleiche Arbeit, mehr Information über das Recht auf Gleichbehandlung (94,8 %) und mehr Aufmerksamkeit für das Thema Diskriminierung in Bildungseinrichtungen (94,2 %). Die vorhandenen Gesetze sollten besser durchgesetzt werden (90,7 %).
Zustimmende Erwartung von Betroffenen mit einer erlebten Diskriminierung aufgrund zu hohen Alters
Ältere und Wohnen
Die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt fällt mit 44,2 % geringer aus bei Befragten mit anderen Diskriminierungsmerkmalen, wie z. B. Menschen mit Behinderung (siehe hier). Den Hintergrund erhellt eine andere Studie (Rente und Alter – Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Januar 2020, Forschungsgruppe Wahlen Telefonfeld GmbH im Auftrag des Bundes), die sich auf Rente und Alter bezieht. Unter den 1. 075 Befragten waren 630 Rentnerinnen und Rentner. Für die folgende Auswertung wurden wieder nur die über 50-Jährigen berücksichtigt.
Demnach leben 67 % im eigenen Haus bzw. Eigentumswohnung. Damit entfällt ein Grund sich auf dem Wohnungsmarkt zu bewegen und die Altersgruppe ist dann weniger einem diskriminierenden Bereich ausgesetzt.
Etwas mehr als die Hälfte (52 %) derjenigen, die gefragt wurden, ob ihre Wohnung bzw. ihr Haus altersgerecht ist, verneinten dies.
Was käme als Alternative in Frage, die nicht schon gewählt wurde?
Alternative zum eigenes Haus oder eigenen Wohnung
Betreutes Wohnen
74,3 %
Altenheim
37,6 %
Senioren-WG
47,4 %
Mehrgenerationenhaus
64,2 %
Diese Angaben sind Hinweise auch für die Altenhilfeplanung und Seniorenarbeit. Zum einen geht es darum, Wohnungen altersgerecht auszugestalten, damit Ältere in ihrem Umfeld so lange wie möglich leben können (selbstbestimmtes Leben, Alltagshilfen). Ergänzend sind Mehrgenerationenhäuser mehr als bisher als alternative Wohnform in der Planung zu berücksichtigen, insbesondere für jene, die noch in Miete leben. Die damit verbundene Praxis erfordert einen Zusammenhalt zwischen den Generationen.
Der überwiegende Teil dieser Befragten sucht nicht mehr Kontakt zu anderen Menschen, hat im Falle einer eigenen Erkrankung jemanden , der sich um sie kümmert und sie fühlen sich kaum einsam. Die älteren Befragten sind darüber hinaus mit der Infrastruktur in ihrem Wohnumfeld überwiegend zufrieden. Das sind erfreuliche Einschätzungen, die nach Größe der Kommune streuen.
Die Anti-Diskrimierung auf Grund zu hohen Alters bleibt allerdings als Aufgabe bestehen.
Alle Berechnungen: Andreas Hammer; * GESIS Datenarchiv, Köln. ZA6735 Datenfile Version 1.0.0, https://doi.org/10.4232/1.13402
Die Datenlage zum Thema Wohnungs- oder Obdachlosigkeit ist in Deutschland sehr schlecht. Es gibt bislang keine amtliche Statistik, die erst ab 2022 geplant ist. Daten stammen meist von Trägern der Wohnungslosenhilfe. Eine Befragung in Berlin in 2015 hat u. a. die Problemlagen von Wohnungslosen, die betreut werden, erhoben (Dornbach, Stefan 2016: Erfolg in der Wohnungslosenhilfe. Klientenbezogene Einflussfaktoren auf den Abschluss von ambulanten Betreuungen. In: wohnungslos, Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., Heft 3/2016). Diese Informationen ermöglichen zu prüfen, ob es verschiedene Typen von Wohnungslosen gibt, was aufgrund der multikausalen Auslöser von Wohnungslosigkeit zu vermuten ist.
Erhoben wurden 1.277 Datensätze von abgeschlossenen Betreuungen in der Berliner Wohnungslosenhilfe und dazu jeweils das Vorhandensein folgender sozialer Problemlagen:
Arbeitslosigkeit,
Straffälligkeit,
Haftentlassung,
Alkoholprobleme,
Drogenprobleme,
Überschuldung,
Gewalterfahrung,
psychische Auffälligkeit und Krankheit sowie
körperliche und geistige Beeinträchtigung
Mithilfe einer Clusteranalyse habe ich geprüft, ob es verschiedene problembezogene Typen von Wohnungslosen gibt. Ein sinnvolles Ergebnis zeigt eine Auflösung von drei Clustern:
Cluster 3 kommt am häufigsten vor, Cluster 2 am wenigsten.
In allen Clustern werden multiple soziale Problemlagen der Wohnungslosen sichtbar. Darüber hinaus gibt es einige Unterschiede:
Cluster 1 beinhaltet vor allem Langzeitarbeitslose (betrifft übrigens rd. 48 % der Datensätze) und psychisch auffällige Wohnungslose.
In 2. Cluster dominieren vor allem Straffällige (etwa 26 % aller Fälle).
Im Cluster 3 finden sich eher überschuldete Personen (ca. 63 % aller Betreuungsfälle).
Diese Unterscheidung kann Hinweise geben auf angepasste Unterstützungsstrategie und -angebote.
Unabhängig vom Betreuungserfolg habe ich geprüft, ob die Clustertypen sich auf die Belegungsdauer der Wohnungslosen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe auswirken. Die durchschnittliche Belegungsdauer entspricht 316 Tagen (Minimum: 2, Maximum: 1.145 Tage). 316 Tage waren es ebenfalls bei Cluster 2. Im Cluster 1 beträgt der entsprechende Wert 326 Tage und im Cluster 309 Tage. Die Unterschiede sind demnach nicht sehr groß – für einen Kostenträger kann das dennoch von Bedeutung sein.
In einer Evaluation eines Projektes für schwer erreichbare junge Menschen konnten wohnsitzlose Arbeitslose (überwiegend aus einem Übergangswohnheim) in einem hohen Maß in Arbeit integriert werden, ohne dass zuvor das Wohnungsproblem gelöst war (s. Hammer 2021: „Wir für Sie und zwar für alle! Barrierefreiheit, ein Prozess“. Dialog 45, Magazin der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg). Insbesondere Arbeitslosigkeit steht in den Berliner Daten in einem signifikanten Zusammenhang mit der Belegungsdauer. Die Strategie Beschäftigung (im Rahmen eines Projektes) vor Wohnung könnte allgemein hilfreich sein.
Fortsetzung von Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung: Menschen mit Behinderung brauchen mehr Anti-Diskriminierung (s. hier)
Betroffene wurden nach ihren Erwartungen an die Politik gefragt. Die möglichen Antworten (Stimme voll und ganz zu, Stimme eher zu, Stimme eher nicht zu, Stimme überhaupt nicht zu, Weiß nicht) wurden dichotomisiert.
Zu den größten Erwartungen gehören mehr Aufmerksamkeit für das Thema Diskriminierung in Bildungseinrichtungen (94,2 %) bzw. mehr Information über das Recht auf Gleichbehandlung (85,7 %). Die rechtliche Lage der Opfer von Diskriminierung sollte außerdem verbessert werden (89,4 %) und die vorhandenen Gesetze besser durchgesetzt werden (88,6 %).
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind die meisten zufrieden und sehen auch keinen Verbesserungsbedarf.
Zustimmende Erwartung von Betroffenen mit einer erlebten Diskriminierung aufgrund Behinderung oder chronischen Erkrankung
Von diesen Erwartungen wird im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung keine aufgegriffen.
Lediglich bei zwei Aussagen gibt es Bezüge zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderung und chronisch Kranken:
Bürgernähe und eine transparente Fehlerkultur werden wir stärken, indem wir die Aus- und Fortbildung bei der Polizei weiterentwickeln und noch intensiver die Grundsätze der freiheitlich demokratischen Grundordnung, insbesondere der Grund- und Menschenrechte, vermitteln. Damit beugen wir auch der Entstehung und der Verfestigung von Vorurteilen, Diskriminierungen und radikalen Einstellungen vor. (siehe zur Polizei)
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten.
Vielleicht sollte die PolitikerInnen sich nochmals mit den Erwartungen von Betroffenen beschäftigen. Zumindest der Vorschlag „Man sollte mehr Aufmerksamkeit für das Thema Diskriminierung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen schaffen.“ sollte vermutlich nicht zu teuer kommen.
Mit den Sozialschutzpaketen wollte die Bundesregierung sicherstellen, dass Erwerbstätige, insbesondere Selbständige (s. hier), auch während COVID-19-Pandemie sozial abgesichert sind. Dazu wurde unter anderem das SGB II dahingehend geändert, dass neue Antragsstellende ein vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) in Anspruch nehmen können. Damit verbunden ist eine weniger tiefe Vermögensprüfung und eine vollständige Anerkennung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft für die Dauer von sechs Monaten (§ 67 SGB II). Kritiker befürchteten, dass damit unnötige Ausgaben aus Steuermitteln anfallen.
Wie haben sich die Kosten der Unterkunft entwickelt?
Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember jedes Jahres ist ein Gedenk- und Aktionstag der Vereinten Nationen. Er soll der Öffentlichkeit die Situation von Menschen mit Behinderung bewusst machen und ihre Inklusion fördern.
Zur Inklusion gehört auch die Teilnahme am Erwerbsleben (Artikel 27 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen) und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Damit ist es allerdings in Deutschland trotz guter Wirtschaftssituation in den letzten Jahren nicht gut bestellt (siehe hier).
Weiter ist die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung Thema. Dazu gab es 2019 eine repräsentative Bevölkerungsumfrage ((Strukturelle) Diskriminierung, Mai 2019. Eine Studie von Kantar, Public Division im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA)). Aus diesen Datensätzen* lässt sich das Ausmaß von Diskriminierung von Menschen mit Behinderung genauer bestimmen. An der Befragung haben 1.060 Personen im Alter von über 18 Jahren teilgenommen. Die folgenden Zahlen sind zur Korrektur der Ausfälle durch Anpassung der Strukturen der Stichprobe an die Strukturen der Grundgesamtheit gewichtet.
Von den Befragten erklärten 8,7 %, dass sie persönlich eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung oder chronischen Krankheit in den letzten drei Jahren erlebt haben. Unter denen, die Frage überhaupt beantwortet haben, waren es 43,1 %. Unter den verschiedenen Diskriminierungsmerkmalen (Geschlecht, Alter u.a.) war Behinderung das häufigste.
Im Folgenden werden Ergebnisse dieser Befragten genauer betrachtet.
Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat haben am 18. bzw. 19.11.2021 die Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze beschlossen. Darin sind enthalten:
Der vereinfachte Zugang zum SGB II sowie die erleichterte Vermögensprüfung im Kinderzuschlag werden bis zum 31. März 2022 verlängert.
Verlängert wird die Ausnahmeregelung zur Verdienstgrenze von Kreativen und Kulturschaffenden.
Das Sozialdienstleister-Einsatz-Gesetz (SodEG) wird bis zum 19. März 2022 verlängert. Damit besteht die Grundlage weiter, sozialen Dienstleistern beispielsweise im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, der Rehabilitation oder der Behindertenhilfe während der Krise weitere Leistungen zu gewähren.
Veröffentlicht unterArbeitsmarkt, SGB II|Verschlagwortet mitCorona, Pandemie, SodEG|Kommentare deaktiviert für Sozialdienstleister-Einsatz-Gesetz erneut verlängert
Die UN-Generalversammlung hat 1999 eine Resolution verabschiedet, nach der der 25. November zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen festgelegt wurde. Der Gedenktag soll das Thema in die Öffentlichkeit bringen. Dem gingen bereits seit den 1980ern Veranstaltungen von Menschenrechtsorganisationen am gleichen Tag zum gleichen Thema voraus.
In der Evaluation einer Maßnahme zur Integration von Alleinerziehenden habe ich nach erlebten kritischen Ereignissen gefragt. Rund ein Drittel der Befragten äußerten körperliche Gewalterfahrung. Ob dies verallgemeinerbar ist, ist schwierig zu beweisen. Amtliche Statistiken zum Thema Gewalt an Frauen existieren nicht. Die Daten (mit Dunkelziffern) kommen häufig von Einrichtungen wie sog. Frauenhäuser oder Beratungsstellen. Ergänzend gab es 2019 eine repräsentative Bevölkerungsumfrage zu Diskriminierung ((Strukturelle) Diskriminierung, Mai 2019. Eine Studie von Kantar, Public Division im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA)). Aus diesen Datensätzen* lässt sich das Ausmaß von Gewalt an Frauen genauer bestimmen.
An der Befragung haben 1.060 Personen im Alter von über 18 Jahren teilgenommen (Die absoluten Zahlen sind zur Korrektur der Ausfälle durch Anpassung der Strukturen der Stichprobe an die Strukturen der Grundgesamtheit gewichtet.).
Folgende Ergebnisse lassen sich ausweisen:
Die Frage „Ich wurde körperlich bedroht“ (in den letzten drei Jahren) wurde von 177 Personen beantwortet. Von diesen haben 25,8 % diese Aussage bejaht.
„Ich wurde körperlich angegriffen“ (in den letzten drei Jahren) gaben 11,5 % an.
Der Aussage „Ich habe körperliche sexualisierte Übergriffe erlebt (z.B. ungewollte Berührungen)“ (in den letzten drei Jahren) haben 22,8 % zugestimmt.
Einer von diesen drei Aussagen haben insgesamt 38,8 % getroffen. Demnach waren zwei von fünf Befragten von körperlichen Übergriffen bedroht. Hinzu kommt noch die Erfahrung, körperliche Übergriffe auf andere erlebt zu haben.
Übergriffe auf Frauen waren häufiger als auf Männer (die Zahl der Diversen war für die Auswertung zu gering). Besonders auffällig ist dabei der Unterschied bei der Frage nach den körperlich sexualisierten Übergriffen: sie erlebten 27 % der Männer und 73 % der Frauen.
Hinzu kommen noch andere Gewaltformen – neben körperlichen Übergriffen (siehe hier).
Wenn man den Anteil der Frauen, die in den letzten drei Jahren körperlich bedroht waren, auf die Bevölkerung Deutschlands im Alter von 18 bis 85 Jahren hochrechnet, dann waren 1,5 Mio. Frauen von einer körperlichen Bedrohung betroffen.
Die trotz Antidiskriminierungsgesetzverbreitete Gewalt an Frauen zeigt, dass insbesondere die Bundesregierung mehr und bessere Strategien über das dagegen auf den Weg bringen muss.
(Ergänzt am 28.11.2021)
Bundesweites HilfetelefonGewalt an Frauen:
Kostenlose Telefonhotline für Betroffene 08000 116 016
Die Nummer ist kostenlos und bundesweit rund um die Uhr erreichbar. Sie kann auch ohne Handyguthaben genutzt werden. Mehr Informationen unter: www.hilfetelefon.de
*GESIS Datenarchiv, Köln. ZA6735 Datenfile Version 1.0.0, https://doi.org/10.4232/1.13402
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Der am 24.11.2021 vorgestellte Koalitionsvertrag enthält zahlreiche Bezugspunkte zum SGB II. Auffällig ist unter anderem die angedachte Schwächung der Jobcenter und Stärkung der Bundesagentur für Arbeit. Rein quantitativ werden die Jobcenter weniger bedeutend, wenn die Idee vom Bund umgesetzt wird, dass die Arbeitslosengeld II-AufstockerInnen in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung künftig von der Bundesagentur für Arbeit betreut werden (die Leistungsgewährung bleibt beim Jobcenter). Die genannte Begründung ist nicht sehr belastbar.
Jahr
ELB in sv-pflichtiger Beschäftigung (Bestand, Jahresdurchschnitt)
Anteil an ELB
2019
533.001
13,7 %
2020
494.622
12,7 %
Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
Die Jobcenter betreuen dann vermittlerisch unter Umständen nicht mehr die ganze Bedarfsgemeinschaft, sondern nur noch einen Teil (analog zu den Arbeitslosengeld-AufstockerInnen im SGB II-Leistungsbezug).
Dieser Vorschlag passt in die Kette an vorangegangenen Gesetzesänderungen mit gleicher Zielrichtung. Der Bund stärkt damit seine Einflusssphäre und Steuerungsmöglichkeiten. Die zugelassenen kommunalen Träger werden das deutlicher zu spüren bekommen.
Die Parteien SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP planen die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde brutto. Das geht aus dem Sondierungspapier hervor. Seit dem 1. Juli 2021 liegt er bei 9,60 Euro brutto. Die geplante Erhöhung hat Konsequenzen für das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16 i SGB II), das den Mindestlohn oder höher zur Voraussetzung für die Förderung von Langzeitleistungsbeziehenden hat.
Im Dezember 2019 wurden 31,4 Prozent der Arbeitsverträge nach § 16 i SGB II mit dembundeseinheitlichen Mindestlohn vergütet (Daten der Jobcenter als gemeinsame Einrichtung, ohne die der zugelassenen kommunalen Träger).
Im Juli 2021 waren 42.564 Förderfälle nach §16 i SGB II im Bestand (siehe hier).
Angenommen der Anteil der nach Mindestlohn Bezahlten von 2019 wäre noch gültig und die Beschäftigten hätten durchschnittlich eine Wochenarbeitszeit, dann ergeben sich für die Arbeitgeber folgende Mehrkosten:
Bisher Mindestlohn 9,60 Euro: 637,4 Mio. Euro pro Jahr
Geplant Mindestlohn 12,00 Euro: 796,8 Mio. Euro pro Jahr
+ 159,4 Mio. Euro pro Jahr
Für die Arbeitgeber, die eine 100 %-Förderung bekommen (in den ersten beiden Förderjahren), ändert sich nichts. Lediglich die Jobcenter müssen mehr Fördermittel binden können, was regional unterschiedlich ausfällt. Im dritten bis fünften Förderjahr ist der Zuschuss der Jobcenter an die Arbeitgeber degressiv. Hier erhöhen sich die Kosten für die Arbeitgeber. Dies wird für gemeinnützige Arbeitgeber (siehe hier) wie bisher ein Problem darstellen. Vermutlich werden einige Arbeitgeber keine Verlängerung von Arbeitsverträgen vornehmen oder sogar Beschäftigte kündigen.
Da eine Erhöhung des Mindestlohnes nötig ist, sollten die Förderbedingungen von „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zumindest für gemeinnützige Arbeitgeber gleichzeitig verbessert werden. Sonst würden die Teilhabechancen der Langzeitleistungsbeziehenden geschwächt werden. Bei dieser Gelegenheit sollte auch die Versicherungspflicht bei der Arbeitslosenversicherung (siehe hier) eingeführt werden.