Die folgende Übersicht zeigt die im Koalitionsvertrag genannten Änderungen für den Haushalt der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit einer kurzen haushaltsbezogenen Bewertung. Quantitative Größen sowie Eintrittswahrscheinlichkeit und -zeitpunkt der Veränderungen lassen sich dem Koalitionsvertrag nicht entnehmen.
Weiterlesen: Welche Komponenten des Haushalts für die Jobcenter ändert der Koalitionsvertrag?Komponente | Kurzbewertung |
Einmalige Mehrkosten | |
Das bisherige Bürgergeldsystem gestalten wir zu einer neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende um. | |
Prozesse müssen digitalisiert werden. | Neben IT-Kosten: Bindet Personal |
Laufende Mehrkosten | |
Hinzuverdienstregeln und Transferentzugsraten reformieren | durch Verzicht auf Anrechnung und durch mehr Leistungsberechtigte (s. https://kurzlinks.de/4mv0), |
zukünftig erhält jede Person ein persönliches Angebot der Beratung, Unterstützung und Vermittlung | mehr Personalaufwand |
bessere Gesundheitsförderung und Reha-Maßnahmen | erfordert im SGB II andere Instrumente; für Reha sind Jobcenter nicht mehr zuständig |
Die Höhe des Schonvermögens koppeln wir an die Lebensleistung. | Zusätzlicher Prüfaufwand der Lebensleistung ggü. der aktuellen und früheren Regelung. |
Wir wollen junge Menschen beim Einstieg in das Berufsleben unterstützen. Hierzu werden wir eine Qualifizierungsoffensive voranbringen. | Mehr Personalaufwand, mehr Maßnahmenplätze erforderlich; Jobcenter sind nicht mehr für Qualifizierungen zuständig |
Mindereinnahmen | |
Keine zusätzlichen Verwaltungsmittel erwähnt | Weiterhin Umschichtungen nötig. SPD Position 1 Mrd. zusätzlich für Leistungen zur Eingliederung wurde nicht übernommen; |
Reduzierung aller sächlichen Verwaltungsausgaben aller Einzelpläne (Sicherheitsbehörden ausgenommen) mit dem Ziel eines Abbaus von zehn Prozent bis 2029 | Das ist die Ankündigung einer Kürzung der Verwaltungsmittel auch im SGB II. Weiterhin Umschichtungen nötig. |
Wir werden den Anpassungsmechanismus der Regelsätze in Bezug auf die Inflation auf den Rechtsstand vor der Corona-Pandemie zurückführen. | Rechtsstreitanfällig |
Wir wollen vor allem den Aufwuchs der konsumtiven Ausgabereste in den Einzelplänen wirksam eindämmen. | Seit einigen Jobcenter erhalten jedes Jahr einige Hundert Millionen Euro an Ausgaberesten aus dem Vorjahr für Eingliederungsleistungen im aktuellen Haushaltsjahr. Werden diese gekappt, falls sie als konsumtiv eingestuft werden, sinkt der Eingliederungstitel deutlich. |
Mehreinnahmen | |
Wir werden den Passiv-Aktiv-Transfer gesetzlich verankern und ausweiten. | PAT sind Mehreinnahmen der Jobcenter im Eingliederungstitel (vgl. https://kurzlinks.de/8jc7). Das bisherige PAT-Volumen wurde nicht ausgeschöpft. Eine Ausweitung auf §16e SGB II wäre aufgrund der kleinen Fallzahl irrelevant. Größere Fallzahl nur bei Eingliederungszuschüssen. Bei gleichbleibender Konstruktion vermutlich kein großer Effekt. |
Minderausgaben | |
Einsparungen beim Bürgergeld durch eine reformbedingt und zu erwartende bessere Arbeitsmarktintegration. | Eine Gegenfinanzierung / Haushaltskonsolidierung von Zusagen aus dem System selbst heraus (mehr Sanktion, mehr Vermittlung, schnellere Vermittlung) hat bisher nicht funktioniert (siehe auch https://kurzlinks.de/dq3k). Das hat zuletzt die Umsetzung des Jobturbo für Flüchtlinge gezeigt (s. https://kurzlinks.de/l02d). |
Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern verschärfen. Sanktionen müssen schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden können. Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen. | Vermutlich nur kleine Größenordnung, da rechtliche Beschränkungen. Vgl. auch https://kurzlinks.de/3nd8 und https://kurzlinks.de/gkfo |
Wir werden die Karenzzeit für Vermögen abschaffen. | Vermutlich kleiner Effekt, da bisher keine großen Fallzahlen |
Dort, wo unverhältnismäßig hohe Kosten für Unterkunft vorliegen, entfällt die Karenzzeit. | Rechtsstreitanfällig, wenn Miete zwar unter Mietobergrenze liegt, aber trotzdem keine Wohnung verfügbar ist. |
Offen | |
Wir wollen sicherstellen, dass die Jobcenter für die Eingliederung ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt bekommen. | „Ausreichend“ kann hergestellt werden durch zusätzliche Mittel oder durch Reduzierung der Bestandszahlen (z. B. durch Sanktion usw.) bei konstantem Eingliederungstitel. |
Die geplanten Änderungen werfen einige Probleme auf.
- Alle Mehrausgaben stehen unter Finanzierungsvorbehalt.
- Viele Aussagen sind vage (z. B. ausreichende Mittelausstattung).
- Einige Vorhaben sind aufgrund von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts rechtlich schwierig umzusetzen (auch schwierig in der Ermessensausübung im Jobcenter). Äußerungen von Politikern in den Medien deuten darauf hin, dass die neue Regierung das Risiko eingeht, vor dem BVerfG zu verlieren, ggf. müssen die Änderungen zurückgenommen werden (erhöhter Verwaltungsaufwand).
- Es ist unklar, wann was umgesetzt werden soll (Zeitplan). Wenn „jede Person zukünftig ein persönliches Angebot der Beratung, Unterstützung und Vermittlung erhält“ und gleichzeitig die Digitalisierung der Prozesse umgesetzt werden soll, werden einige Jobcenter aufgrund der Bindung von Personal für diese Aufgaben eines der Ziele nicht erreichen können.
- Einige der angekündigten Verbesserungen fallen in den Zuständigkeitsbereich des SGB III oder anderer Rechtskreise (Gesundheit, medizinische Rehabilitation), auch wenn sie im Koalitionsvertrag im Abschnitt Grundsicherung aufgeführt sind.
- Die Personal- und Sachkosten für die Veränderungen im Guten wie im Schlechten stehen im Widerspruch zur angekündigten Kürzung der sächlichen Verwaltungsausgaben und der unklaren Mittelausstattung für die Eingliederungsmittel.
- Es besteht die Gefahr einer zu optimistischen Berechnung der Mehr- und Minderausgaben. Es ist fraglich, ob die Minderausgaben größer sind als die Mehrausgaben, um die angekündigte Kürzung der Mittel im SGB II zu realisieren.
Fazit
Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD bedeutet für die Jobcenter und Träger eine erhebliche Unplanbarkeit in Bezug auf Zeit, Personal und Leistungen zur Eingliederung in Arbeit sowie Rechtsunsicherheit.
Unklar sind zudem die Prioritäten der Änderungen. Man kann sich allenfalls an der Klassifizierung „wir werden“, „wir müssen“ und „wir wollen“ orientieren.
Der Vergleich des Koalitionsvertrages mit dem entsprechenden Ergebnispapier aus den Koalitionsverhandlungen zeigt, dass die meisten strittigen Punkte ausgeklammert wurden. Die geplante Koalition riskiert damit Streit während der Legislaturperiode in einem hochpolitischen Politikfeld.
Mit der Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 voraussichtlich im 2. und 3. Quartal 2025 kann der Koalitionsvertrag besser bewertet werden.