Im Rahmen der repräsentativen Bevölkerungsumfrage Umfrage „Vertrauen in Staat und Gesellschaft während der Corona-Krise“ wurden von der Forschungsgruppe Wahlen Telefonfeld GmbH vom 29. Juni bis 06. Juli 2020 eine telefonische Umfrage unter 2.026 zufällig ausgewählten deutschsprachigen Bürgerinnen und Bürgern ab 18 Jahren durchgeführt.
Aus dieser Studie sollen im Folgenden die Erfahrungen der Befragten mit verschiedenen Behörden dargestellt werden.
Stehen sog. 1-Euro-Jobs (Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II) schon seit Jahren in der Diskussion der Arbeitsmarktpolitik als Förderinstrument, sind zum 1.8.2016 Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (Hammer 2017b, 2017d, Hammer 2018) als Arbeitsgelegenheiten nach § 5a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) hinzugekommen. Weniger in der öffentlichen Wahrnehmung finden sich die Arbeitsgelegenheiten nach § 5 AsylbLG. Diese existieren ebenfalls schon seit Jahren.
Dieser Instrumententyp, 1993 eingeführt, soll für die Zeit von 1994 bis 2019 – 25 Jahre – beleuchtet werden.
Geringverdiener sind (bei der EU) definiert als ArbeitnehmerInnen (ohne Auszubildende), die zwei Drittel oder weniger des nationalen Median-Bruttostundenverdienstes in dem jeweiligen Land verdienen. Bei vollzeitbeschäftigten ArbeitnehmerInnen stellt dies die Armutsgrenze dar, unter der keine angemessene Existenzsicherung gewährleistet ist. So sind die überdurchschnittlich im Niedriglohnsektor Beschäftigten auch die auf dem Arbeitsmarkt besonders Benachteiligten.
Die Niedriglohnsektoren in den verschiedenen Ländern sind u. a. gewachsen, weil gesetzliche Regelungen oder ausreichende Mindestlöhne fehlten, Gewerkschaften in Lohnverhandlungen schwächer wurden oder weil es – wie in Deutschland – politisch mit der Umsetzung des sog. Hartz-Konzeptes gefördert wurde.
2005 sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder:
„Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt. Ich rate allen, die sich damit beschäftigen, sich mit den Gegebenheiten auseinander zu setzen, und nicht nur mit den Berichten über die Gegebenheiten. Deutschland neigt dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, obwohl es das Falscheste ist, was man eigentlich tun kann. Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt.“
Die Beschäftigung im Niedriglohnsektor bringt zahlreichen Studien zufolge Probleme mit sich: schlechtere Arbeitsbedingungen, schlechtere soziale Absicherung, schlechtere Chancen auf Weiterbildung und Karriere, geringeres Arbeitslosen-, Kurzarbeiter- oder Krankengeld und Altersarmut.
In den europäischen Ländern hat sich die durchschnittliche Größe des Niedriglohnsektors zwischen 2006 und 2018 verkleinert – von 16,6 % auf 15 %.
Quelle der Daten: Eurostat; eigene Darstellung
Dabei gab es eine große Bandbreite in den Veränderungen zwischen 2018 und 2006. Auffällig ist beispielsweise Portugal, wo in diesem Zeitraum der Anteil von 20,7 % auf 4 % zurückging – eine Reduktion von 16,8 %. Auch Ungarn hat seinen Niedriglohnsektor um über 10 % auf 11,6 % gesenkt. Den größten Zuwachs hatte Belgien (gefolgt von Griechenland), um +6,9 %, auf nun 13,7 %. In Deutschland nahm der bereits große Niedriglohnsektor um 0,4 % auf 20,7 % zu, und das bei einem bereits hohen Niveau. Jede/r Fünfte Beschäftigte in Deutschland arbeitet an oder unter der Armutsgrenze – das fünffache von Schweden. Auch die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in 2015 hat in Deutschlandden Anteil nicht reduziert.
Quelle der Daten: Eurostat; eigene Darstellung
Wie sieht der Stand 2018 aus, dem Jahr der zuletzt verfügbaren Zahlen der EU?
Den größten Niedriglohnsektor weist Lettland auf (23,5 %). Einen Niedriglohnsektor mit einem Anteil von 20 und mehr Prozent haben:
Lettland
Litauen
Estland
Polen
Bulgarien
Deutschland
Rumänien
Man könnte sagen, dass sich Deutschland in einer Gruppe von postsozialistischen Ländern befindet.
Den kleinsten Niedriglohnsektor hat Schweden mit 3,6 %. Die Gruppe der Länder mit einem Anteil von kleiner als 10 % besteht aus:
Norwegen
Dänemark
Frankreich
Italien
Finnland
Portugal
Schweden
Diese Gruppe besteht überwiegend aus Ländern, die Universalität als oberstes Gestaltungsprinzip verfolgen, also soziale Sicherheit für die gesamte Wohnbevölkerung (sog. Skandinavischer oder sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat).
Quelle der Daten: Eurostat; eigene Darstellung
Fazit
Obgleich in Deutschland die Arbeitslosenquote über Jahre gesunken ist, wurde der Niedriglohnsektor parallel noch ausgeweitet. Die Beschäftigung im Niedriglohnsektor ist kein Sprungbrett in ein besseres Arbeitsmarktsegment.
Die Reduzierung der Arbeitslosigkeit war verbundenen mit nicht existenzsichernden Löhnen und den beschrieben negativen Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft (auch fiskalisch, denn aus Steuermitteln werden aufstockend Arbeitslosengeld II und Grundsicherung im Alter finanziert).
Der Mindestlohn müsste über die Schwelle von 10,80€ pro Stunde (Wert für 2017) gehoben werden, um damit den Niedriglohnsektor zu reduzieren. Im Januar 2021 liegt des Mindestlohn bei 9,50€/h. Das zeigt, dass weitere staatliche Maßnahmen nötig sind, da Appelle an Arbeitgeber offenbar ohne Wirkung sind.
Die Sars-CoV-2-Krise hat die Arbeitslosigkeit erhöht. In Deutschland stieg der Jahresdurchschnittswert der Arbeitslosenquote insgesamt von 5,0 % in 2019 auf 5,9 % in 2020. Ohne Kurzarbeit wäre die Zunahme noch stärker ausgefallen (siehe hier). Auch für den Arbeitsmarkt gilt: das Risiko, arbeitslos zu werden, bzw. die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit, ist in der Pandemie nicht für alle gleich.
Dies zeigen die qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten sehr deutlich.
Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
Die bisherigen Entwicklungen setzen sich fort: je höher das Niveau der beruflichen Bildung, desto geringer ist das Arbeitsmarktrisiko. Die Pandemie hat allerdings die qualifikationsspezifischen Unterschiede verstärkt. Die Arbeitslosenquote stieg in 2020 gegenüber dem Vorjahr um 0,9 Prozentpunkte. Bei AkademikerInnen und bei Arbeitslosen mit einer schulischen oder beruflichen Ausbildung war der Anstieg geringer: jeweils 0,5 Prozentpunkte. Am stärksten stieg die Arbeitslosigkeit bei Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung von 17,7 % in 2019 auf 20,9 % in 2020. Die Zunahme beträgt 3,2 Prozentpunkte – also mehr als das 6-fache derjenigen mit einem Berufsabschluss. Ihr Anteil liegt auch höher, wenn man den Wert vergleicht mit dem Jahr einer ähnlichen Arbeitslosenquote (2016: 6,1 %, 2017: 5,7 %), wo ihre spezifische Arbeitslosenquoten bei 20 % (2016) oder 18,7 % (2017) lag.
Außerdem: Bei sinkender Arbeitslosenquote nahm der Anteil der Arbeitslosen ohne Berufsabschluss an den Arbeitslosen zu. Das liegt daran, dass bei den anderen Gruppen die anteilige Arbeitslosenquote schneller sank.
Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
Fazit
Ohne zusätzliche und spezifische Förderung der Arbeitslosen ohne Berufsausbildung werden diese über längere Zeit arbeitslos bleiben (wenn man die Entwicklung seit 2015 in Betracht zieht).
Und es ist sicherlich erforderlich diese Risikogruppe angesichts der erhöhten Betroffenheit präventiv zu fördern um Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Die Sars-CoV-2-Pandemie wirkt sich auf den Ausbildungsmarkt aus. So ging die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge im Jahr 2020 um 11 Prozent zurück – ein trauriger Rekord. Aber auch ohne Corona rechnete das BIBB mit einem Rückgang. Die Gruppe der jungen Menschen stand dennoch nicht im Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit. Allenfalls ging es um Betriebe mit einem drohenden Fachkräftemangel, der nach der Corona-Krise wiederaufleben würde. Deshalb hat die Bundesregierung versucht den Ausbildungsmarkt zu beeinflussen, indem sie Betrieben eine Prämie anbot, wenn sie trotz Pandemie ausbilden.
Überbelegung von Wohnung ist kein neues Thema. Die Mietkosten steigen, bezahlbare und verfügbare Wohnungen für Familien sind kaum auf dem Markt zu finden, insbesondere in Großstädten. Steigende Mieten gehören zu den Treibern sozialer Ungleichheit. In der Sars-Co-V2-Krise bekommt das Thema der Überbelegung eine zugespitzte Problematik. Denn durch die Kontakteinschränkungen halten sich die Menschen mehr als sonst in ihren Wohnungen auf – das ist auch der Wunsch der Regierung. Für die, die genügend Platz haben, ist das ohne schlimme Folgen möglich. Anders ist es für Menschen, die in überbelegten Wohnungen leben. Für sie wirken sich die Kontakteinschränkungen besonders hart aus, vor allem wenn sie in Quarantäne sind. Insofern trifft die Pandemie nicht alle Haushalte gleich.
„Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) soll als Instrument des sog. Teilhabechancengesetzes seit 1.1.2019 die Teilhabe von Langzeitleistungsbeziehenden fördern (siehe auch hier). Dabei geht es um Personen, die in der Regel innerhalb der letzten sieben Jahre sechs Jahre Arbeitslosengeld II bezogen haben, unabhängig davon, ob sie arbeitslos waren oder nicht.
Wie sieht die Entwicklung der ersten zwei Jahre aus?
Im Dezember 2020 waren 42.864 Förderfälle im Bestand (Zahl vorläufig), die Zahl der Eintritte lag bei 792.
Seit August 2019 (wenn man von den Ausnahmen August und September 2019 absieht, sogar seit April 2019) gehen die monatlichen Zugänge bei der Teilhabe am Arbeitsmarkt im Trend zurück (siehe auch hier). Diese Entwicklung hat bereits deutlich vor Beginn der Corona-Pandemie eingesetzt. Der anfänglich schnelle Anstieg der Fallzahlen, lag auch daran, dass Teilnehmende aus vorangegangenen Förderprogramm mit §16 i SGB II weiter gefördert werden konnten.
Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit
Der Rücknahme von Pandemie-bedingten Einschränkungen hat sich beim Teilhabechancengesetz nicht ausgewirkt. Sozialunternehmen haben Liquiditätsprobleme und Einnahmeausfälle, die aus ihrer Sicht weder durch Bundes- oder Landesnothilfen noch durch Mittel nach dem Sozialdienstleistereinsatzgesetz (SodEG) ausreichend ausgeglichen werden (Umfrage-Ergebnisse zum Sozialdienstleister-Einsatzgesetz). Sie fallen als Arbeitgeber mehr oder weniger aus. Und Arbeitgeber in der sog. Privatwirtschaft sind branchenübergreifend ebenfalls von Finanzproblemen betroffen. Solange zahlreiche Arbeitgeber Kurzarbeit nutzen (s. hier), werden sie eher nicht Langzeitarbeitslose und Langzeitleistungsberechtigte einstellen.
In der Corona-Krise zeigt sich nun auch ein bereits im Gesetzgebungsverfahren festgestellter Mangel: die Arbeitsverhältnisse nach § 16i SGB II – Teilhabe am Arbeitsmarkt – sind nicht arbeitslosenversicherungspflichtig. Deshalb kann für diese Beschäftigten keine Kurzarbeit beantragt werden. Dies wäre sicherlich für Arbeitgeber ein Anreiz, auch in Krisenzeiten öffentlich-geförderte Beschäftigung zu nutzen.
Der Entwurf zum 11. Änderungsgesetz zum SGB sieht für dieses Instrument noch keine Änderungen vor.
Das Recht auf Teilhabe – wie es auch gesetzlich abgesichert ist – darf nicht dauerhaft eingeschränkt werden, auch nicht in Zeiten von Krisen. Die vorhandenen Rechtsgrundlagen und Konzepte zur Teilhabe müssen entsprechend angepasst und krisentauglich werden.
Als Instrument des sog. Teilhabechancengesetzes soll der § 16e SGB II seit 1.1.20219 die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen fördern (siehe auch hier).
Wie sieht die Entwicklung der ersten beiden Jahre aus?
Bundeswirtschaftsminister Altmaier sagte in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Dezember 2020:
„Nach dem schweren Absturz im zweiten Quartal haben wir im dritten Quartal einen Bilderbuchaufschwung gesehen. Die Selbstheilungskräfte unserer Wirtschaft funktionieren.“ (Quelle zum ganzen Interview)
Offensichtlich ist auch in der Pandemie „unserer Wirtschaft“ gesund. Trotzdem hat der Bund sehr große Summen an Wirtschaftsunternehmen während der Pandemie gezahlt.
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Nach einer dpa-Meldung vom 18.12.2020 hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters an Kultureinrichtungen appelliert, Künstler über Ausfallhonorare an den staatlichen Corona-Hilfen teilhaben zu lassen.
Hintergrund ist, dass Kultureinrichtungen, die kein Ausfallhonorar im Vertrag vorgesehen haben, wirtschaftliche Probleme bei Pandemie-bedingten Schließungen bekommen könnten. Deshalb fördert der Bund Kultureinrichtungen während der Pandemie so, dass unter bestimmten Voraussetzungen Kultureinrichtungen und Projekte, die vom Bund gefördert werden, Ausfallhonorare zahlen können. Kreative sollen so unterstützt werden.
Nun ist die Kulturstaatsministerin überrascht, dass die Kultureinrichtungen die Fördermittel nehmen, aber nicht an die Kreativen weitergeben.
„Bei öffentlich finanzierten Einrichtungen sei es nicht akzeptabel, wenn einzelne Theater und Veranstalter nun sogenannte Corona-Klauseln aufnähmen, die Ausfallhonorare ausschlössen. Wenn Theater und Kulturveranstalter November- und Dezemberhilfen erhielten und damit 75 Prozent des Vorjahresmonatsumsatzes, «dann erwarte ich auch von diesen, dass sie die engagierten Künstlerinnen und Künstler anteilig daran jedenfalls über Ausfallhonorare teilhaben lassen», sagte Grütters.“
Die Kulturstaatsministerin erwartet also, dass die Kultureinrichtungen die Fördermittel an ihre Honorarkräfte weitergeben.
Bei den sozialen Einrichtungen (Sozialdienstleistern) sind die Regeln klarer und restriktiver (siehe hier).
Sie erhalten eine Förderung im Rahmen des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes (SodEG; siehe hier). Voraussetzung ist, dass sie ihre Ressourcen, z. B. Personal, Räumlichkeiten, die wegen Betriebsschließungen nicht in vollem Umfang gebraucht werden, für die Überwindung der Pandemie bereitstellen. So sollten sie z. B. bei der Kontaktnachverfolgung unterstützen.
Auch Sozialdienstleister haben Honorarkräfte. Wenn sie die SodEG-Fördermittel nicht an ihre Honorarkräfte weiterleiten, dann wird die maximale Förderquote von 75 % der vorangegangenen Zuschüsse (nicht der Umsätze, die höher wären) auf 50 % gekürzt. Das basiert nicht auf einer Erwartung des Ministeriums, sondern das muss beim Antrag auf Förderung erklärt werden und bei der Abrechnung nachgewiesen werden. Und die Mitarbeitenden der Jobcenter (gemeinsame Einrichtungen) und Arbeitsagenturen haben eine Weisung, diese Kürzung so umzusetzen.
Hier besteht wohl eine offensichtliche Ungleichbehandlung in der Pandemie. Wieso es bei den Kultureinrichtungen keine Vorgaben, sondern lediglich Erwartungen gibt, ist nicht nachvollziehbar.
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