Geheimniskrämerei um Erprobung innovativer Ansätze in der Arbeitsförderung

Seit dem 1.1.2009 gibt es im SGB III eine Rechtsgrundlage zur Erprobung innovativer Ansätze. Diese ist seit dem 1.4.2012 in § 135 geregelt, davor in § 421h SGB III (noch weiter zurück gab es ein zunächst ein 250-Mio-Programm, danach ein 750-Mio-Programm, das dann in § 62d AFG auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurde).

Wie die Überschrift des Paragrafen schon sagt, geht es um die Erprobung innovative Ansätze der aktiven Arbeitsförderung – eine Strategie, die angesichts verfestigter Massenarbeitslosigkeit zielführend sein kann.

§ 135 SGB III Erprobung innovativer Ansätze

(1) Die Zentrale der Bundesagentur kann bis zu einem Prozent der im Eingliederungstitel enthaltenen Mittel einsetzen, um innovative Ansätze der aktiven Arbeitsförderung zu erproben. Die einzelnen Projekte dürfen den Höchstbetrag von 2 Millionen Euro jährlich und eine Dauer von 24 Monaten nicht übersteigen.

(2) Die Umsetzung und die Wirkung der Projekte sind zu beobachten und auszuwerten. Über die Ergebnisse der Projekte ist dem Verwaltungsrat nach deren Beendigung ein Bericht vorzulegen. Zu Beginn jedes Jahres übermittelt die Bundesagentur dem Verwaltungsrat eine Übersicht über die laufenden Projekte.

Allerdings berichtet der Bundesagentur für Arbeit nur spärlich über die erprobten Innovationen und ihre Ergebnisse. Das ist verwunderlich, denn solche Innovationen sollten in den Mainstream übergehen und von den Akteuren am Arbeitsmarkt umgesetzt werden. Offensichtlich reicht es auch der Bundesregierung, wenn lediglich der Verwaltungsrat einen (nicht-öffentlichen) Bericht bekommt.

In den Geschäftsberichten seit 2015 der Bundesagentur für Arbeit findet sich entgegen der sonst üblichen Mitteilsamkeit nichts Erhellendes.

Das statistische Material erlaubt lediglich eine oberflächliche Einschätzung über die Größenordnung, in der die Erprobung innovativer Ansätze umgesetzt wird. Nimmt man die Durchschnitte der Jahre 2015 bis 2021, so wurden etwa 400.000 Euro im Jahr verausgabt (2015: Restabwicklung) für rund 100 Geförderte bei etwa 11 Monaten Förderdauer.

Es handelt sich angesichts des BA-Budgets eher um marginale Summen. Das mögliche Fördervolumen wird bei weitem nicht ausgeschöpft.

Im SGB II bietet der § 16f SGB II eine sog. freie Förderung, der ebenfalls kaum angewandt wird. Denn die Formulierung erschwert eine rechtssichere Förderung. Die restriktive Handhabung ist nach der Kreativität der Jobcenter bei der Nutzung der sog. Sonstigen Weiteren Leistungen (früher § 16 Abs. 2 SGB II), die deshalb abgeschafft wurden, gewollt. Den Jobcentern sollte die Förderung von Prozess-, Produkt- und Strukturinnovationen sowie eine weniger restriktive freie Förderung erlaubt werden.

Fazit:

  • Mehr Transparenz!
  • Mehr Innovation wagen!
  • Analoge Regelung – aber ohne Deckelung des Fördervolumens – im SGB II, die § 16f SGB II ablösen könnte.
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Arbeitslosigkeit unter Thatcherism

Margaret Thatcher – frühere Tory-Premierministerin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, Vorbild von Liz Truss, aktuelle Tory-Premierministerin, hatte mit Beginn ihrer Amtszeit als Premierministerin (Mai 1979 bis November 1990) Gewerkschaften entmachtet, staatliche Sozialleistungen eingeschränkt und gekürzt sowie Deregulierungen und Privatisierungen durchgesetzt.

Eine Folge war ein steiler Anstieg der Arbeitslosigkeit von 5,3 % im 2. Quartal 1979 auf 11,9 % im 2. Quartal 1984 (Männer 12,2 %; Frauen 11,8 %) – also innerhalb von 5 Jahren eine Verdoppelung. Werte um 12 Prozent wurden seitdem nie wieder erreicht.

Quelle: Office for National Statistics, UK; die Amtszeit von M. Thatcher ist durch die roten Balken markiert

Die Arbeitslosigkeit der Frauen lag in der Regel unter der der Männer und sank auch schneller. Die Arbeitslosigkeit ging nach der Amtszeit Thatchers insbesondere durch den Ausbau der Kinderbetreuung unter den Labour-Regierungen (1997-2005: > 500.000 neue Kinderbetreuungsplätze) zurück, was Frauen eine bessere Erwerbsbeteiligung ermöglichte.

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Gesetzesentwurf zum Bürgergeld

Nach dem Referenten-Entwurf zum Bürgergeld-Gesetz steht nun der Gesetzesentwurf bereit, wie er in der Kabinettssitzung am 14.9.2022 beschlossen wurde.

Im Vergleich hat der Gesetzesentwurf rund 20 Prozent mehr Seiten.

Neu hinzugekommen sind Änderungen zum Regelbedarf.

Nunmehr wird das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet.

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Gas- und Stromschulden: Hilfen zur Überbrückung

Früher oder später bekommen viele Kundinnen und Kunden eine höhere Abschlagszahlung oder eine höhere Nachzahlungsaufforderung als sonst üblich von ihrem Strom- oder Gasversorger präsentiert. So zahlreiche Prognosen. Die Preise sind im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine gestiegen.

Um die Versorger zu sichern, will die Bundesregierung eine Gasumlage einführen, mit der dann diese Unternehmen gesichert werden.

Die EndverbraucherInnen sind durch die bisher vorgesehenen einmaligen Entlastungen nicht vollständig gesichert.

Falls ein Haushalt beispielsweise eine hohe Nachzahlung nicht leisten kann, dann ist Eile geboten. Denn auch die Sozialämter und Jobcenter können – unter verschiedenen Voraussetzungen – ein Darlehen gewähren, um die Energieschulden zu bezahlen. Wichtig ist dabei, dass in dem Monat, in dem die Nachzahlungsrechnung/ -aufforderung kommt, auch das Darlehen bei der Behörde beantragt wird. Diese Frist einzuhalten ist wichtiger als lange selbst nach Lösungen zu suchen. Außerdem kann eine Schuldnerberatung kontaktiert werden.

Die Preise für fossile Energieträger würden vermutlich auch ohne Krieg steigen, denn das ist eine Folge der nötigen Anpassungen (CO2-Bepreisung usw.) an den Klimawandel. Dafür gab es bereits 2021 Vorschläge zu einem Klimaschutzfonds. Allerdings besteht das Problem, seine Unterkunft angemessen heizen zu können, schon länger. Etwa 2,5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, darunter überproportional alleinlebende Frauen und Alleinerziehende, haben Probleme ihre Wohnung warum zu halten. (s. hier).

Nötig ist eine dauerhafte Energiesicherung, die sich auch arme Haushalte leisten können. Dazu ist Deutschland in Folge einer EU-Richtlinie auch rechtlich verpflichtet (s. hier). Das im Koalitionsvertrag angekündigte Klimageld ist noch nicht auf dem Weg. Deshalb ist eine Erhöhung der Regelsätze in den verschiedenen Sozialgesetzbüchern erforderlich.

Im Übrigen stellt sich die Frage, ob die gesicherten Unternehmen von ihren späteren Gewinnen wieder etwas abgeben müssen oder ob der Staat eine Steuerungsmöglichkeit sich einräumt, solange er diese stützt.

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Zugang in Arbeitslosigkeit nach Herkunftsstruktur

Die Arbeitskräfte-Gesamtrechnung für die registrierten Arbeitslosen zeigt, dass eine große Zahl von Arbeitslosen vor der Arbeitslosigkeit nicht berufstätig (ohne Ausbildung) war, sondern aus dem Bereich der Nichterwerbstätigen kommt.

1970 bis 1999

Der Anteil der vorher Nichterwerbstätigen betrug 1970 um die 9 Prozent und der Anteil der vorher erwerbstätigen Arbeitslosen lag bei fast 90 Prozent. Im Zeitraum von 1970 bis 1995 hat sich die Zahl der Arbeitslosen, die direkt davor beschäftigt waren, etwas mehr als verdoppelt. Die Zugänge in Arbeitslosigkeit aus Nichterwerbstätigkeit stieg um das Siebzehnfache. 1999 ist der Anteil der vorher erwerbstätigen Arbeitslosen auf unter 50 Prozent gefallen. Entsprechend stieg der Anteil der vorher Nichterwerbstätigen (Harald Mattfeld (Arbeitsmarkt und realwirtschaftliche Entwicklung, in: Heseler u.a. 2002: Gegen die Marktorthodoxie, S. 59). Hierbei hatte der Erwerbsquoteneffekt (Anteil der Erwerbspersonen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) großen Einfluss.

2007 bis 2021

Mit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; sog. Hartz IV, künftig „Bürgergeld“) ist die statistische Definition von Arbeitslosigkeit erneut, wiederholt und deutlich verändert worden.

Seit 2007 liegt der Anteil der Arbeitslosen, die zuvor erwerbstätig waren, stets unter 45 Prozent. Dieser Anteil hat sich nach der Großen Rezession auf unter 40 Prozent reduziert, um in der SARS-CoV-2-Pandemie (Entlassungen vor allem von Minijob-Beschäftigten) wieder anzusteigen.

Quelle der Daten: IAB; eigene Darstellung

Der Anteil der zuvor Nichterwerbstätigen lag im Zeitraum zwischen 2007 und 2021 immer über 24 Prozent, mit einem Höchststand von rund 34 Prozent im Jahr 2014. Fast zwei Drittel von ihnen (64,4 Prozent) waren davor arbeitsunfähig. Der Spitzenwert wurde 2013 mit ca. 71,4 Prozent erreicht. Hier ist mehr gesundheitliche Prävention und Gesundheitsförderung angezeigt und weniger die Unterstellung fehlender Motivation und Konzessionsbereitschaft. Ein weiterer relevanter Anteil (im Mittel 29 Prozent) unter den zuvor Nicht-Erwerbstätigen war für den Arbeitsmarkt nicht verfügbar. Dieser Anteil ist sicherlich durch die unzureichende Infrastruktur für Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen bestimmt.

Wie in der 1970er bis 1990er Jahren, so hat die Erwerbsquote, eine bevölkerungsbedingte Größe, zwischen 2007 und 2019 weiterhin Einfluss: je größer die Erwerbsquote, um so größer ist der Anteil der Arbeitslosen, die zuvor nicht erwerbstätig waren bzw. umso geringer ist der Anteil der Arbeitslosen, die zuvor erwerbstätig waren.

Quelle der Daten: Statistisches Bundesamt, IAB; eigene Darstellung; 2007-2019

Zusammenfassung

Seit vielen Jahren ist mehr als die Hälfte der Arbeitslosen zuvor nicht beschäftigt gewesen. Dieser Sachverhalt verdient beim Umgang mit Arbeitslosen und bei der Weiterentwicklung des SGB III und des SGB II größere Betrachtung. Dabei und bei den Strategien zum Abbau der Arbeitslosigkeit sollte besonders berücksichtigt werden, dass der Zugang in Arbeitslosigkeit auch durch die bevölkerungsabhängige Erwerbsquote beeinflusst wird.

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Bürgergeldgesetz: erste Einschätzung

Nachdem seit dem Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung hohe Erwartungen an das kommende Bürgergeld geweckt wurden, zeigt nun der Referentenentwurf vom 21.7.2022 einige zielführende (z. B. abschlussbezogene Weiterbildung im SGB II ohne Verkürzungspflicht) und verwaltungsvereinfachende Änderungen (z. B. Einführung einer Bagatellgrenze bei Rückforderung von Leistungen) auf. Wesentliches ist lediglich Nachvollzug von fachlich bekannten Positionen, höchstrichterlichen Urteilen (z. B. zu Sanktionen; angeblich wird beim Bund künftig nicht mehr von „Sanktion“ gesprochen, sondern von „Leistungsminderung“, weil Sanktionen jetzt auch gegen die Russische Föderation gelten und das negative Assoziationen weckt) oder Regelungen, die während der Pandemie bereits gegolten haben (Einkommen-, Vermögens- und Wohnungsprüfung, s. hier).

Weniger auffällig sind fehlende Inhalte. Beim Kapitel zur Eingliederung in Arbeit fehlen bis jetzt nötige Änderungen bei den Arbeitsgelegenheiten (§ 16d). Eine Ausweitung der Teilhabe am Arbeitsmarkt ist nicht vorgesehen („Langfristig belaufen sich bei geschätzten 40 000 Teilnehmenden im Bestand…“, S. 59). Und es fehlt die Möglichkeit Innovationen oder Erprobungen durchzuführen, da die Freie Förderung (§16f) nicht angepasst ist. Finanzielle Anreize (Weiterbildungsgeld, Bürgergeldbonus), die zudem eine fehlende Motivation der Leistungsberechtigten unterstellen (s. hier), bewirken selten nachhaltiges Lernen. Insofern wären Alternativen zu entwickeln und zu ermöglichen.

Als vermutlich neue Wortschöpfung kann das „Erreichbarkeitsrecht“ gelten, das die Ortsabwesenheit regelt.

Problematisch bleibt auch im Entwurf zum Bürgergeldgesetz die Tendenz zur double bind-Situation zwischen Leistungsberechtigten und Mitarbeitenden der Jobcenter. Dabei handelt es sich um ein dysfunktionales oder pathologisches paradoxes Kommunikationsmuster mit einer Doppelbotschaft. Doppelbotschaften enthalten zwei Botschaften gleichzeitig, die einander widersprechen und sich gegenseitig ausschließen. Im SGB II ist es Mitwirkungspflicht bei gleichzeitiger Umgang auf Augenhöhe, Androhung von Leistungsminderungen und Vertrauenszeit.

„Im Hinblick auf vereinbarte Mitwirkungspflichten … wird die Selbstverantwortung der Leistungsberechtigten und ihre Vertrauensbeziehung zur Integrationsfachkraft gestärkt.“

Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
Entwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz), Stand: 21.7.2022, S. 3

Doppelbotschaften erzeugen Irritationen bei EmpfängerInnen, aber auch Unwohlsein bei SenderInnen, die darauf gerne verzichten würden.

Eine detaillierte Stellungnahme zum Referenten- und später zum Gesetzesentwurf folgt.

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Eingliederungserfolg nach Arbeitsgelegenheiten

Arbeitsgelegenheiten (AGH) nach dem SGB II stehen seit langer Zeit in Kritik, unter anderem wegen vermuteten lock-in-Effekten (zu AGH hier), was sich an niedrigen Zahlen an Eingliederungen auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar mache. Beim Vergleich von Instrumenten müssen aber stets die jeweiligen Ziele und Zielgruppen berücksichtigt werden.

Bei AGH ist das Ziel nicht die Integration in Arbeit, sondern Erhalt oder Ausbau der Beschäftigungsfähigkeit der Geförderten. Dennoch gelingen auch aus der AGH Eingliederungen.

Die Eingliederungsquote (EQ) stellt den Anteil der geförderten Personen, die zum Ende eines Verbleibsintervalls in Beschäftigung sind, an allen beendeten Förderungen. Für die folgenden Ergebnisse wurde als Verbleibsintervall 6 Monate gewählt für die Austritte, die zwischen Oktober 2020 und September 2021 festgestellt wurden. Die neuesten Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit liegen vom Juli 2022 vor. Von der Betrachtung ausgeschlossen sind 68 Jobcenter, da deren Mindeststichprobengröße zu klein war sowie Jobcenter mit unplausiblen Werten.

Die bundesweit durchschnittliche Eingliederungsquote lag bei 10,8 %. Unter den Bundesländern hatte Berlin die niedrigste EQ mit 6,7 %, Baden-Württemberg mit 14,9 % (mehr als doppelt so hoch als in Berlin) die höchste.

Betrachtet man alle Jobcenter, dann zeigt sich eine deutlich breitere Streuung. Für drei Jobcenter wurde eine EQ von 0,0 % ausgewiesen. Bei acht Jobcentern betrug die EQ über 30 %! Diese Jobcenter sind alle einem SGB-II-Vergleichstyp I mit einem gewerblich geprägten Arbeitsmarkt zugeordnet (Id, Ib, Ic, Ie). Das Maximum wurde für mit 42,9 % für das JC Grafschaft Bentheim verzeichnet. Darauf folgen mit über 40 % die JC Olpe, JC Trier-Saarburg, und JC Nürnberger Land.

Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit; eigene Berechnung/Darstellung

Angesichts dieser Streuung wäre es interessant zu wissen, wie solch hohe Eingliederungsquoten aus AGH gelungen sind. Hier kann man sicherlich nicht mehr von lock-in-Effekten des Instruments AGH sprechen.

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Teilhabe von Kindern in der Pandemie gesunken

Für Personen unter 25 Jahren mit Leistungsbezug nach dem SGB II (§ 28 Grundsicherung für Arbeitsuchende) oder nach dem Bundeskindergeldgesetz (§ 6a und § 6b) stehen Leistungen zur Bildung und Teilhabe zur Verfügung. Die Bereitstellung war aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden. Auch nach der Einführung dieser Leistungen besteht die Kritik an der Ausgestaltung weiter.

Eine Leistungsart darunter, die allerdings nur Minderjährigen zusteht, ist die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Dazu gehören

  • Aktivitäten in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit,
  • Unterricht in künstlerischen Fächern (zum Beispiel Musikunterricht) und vergleichbare angeleitete Aktivitäten der kulturellen Bildung und
  • Freizeiten.

Durch den Beitrag von 15 Euro monatlich pro Kind soll die Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen hergestellt werden.

Die Zielerreichung hat in 2020, dem ersten Jahr der SARS-CoV-2-Pandemie, stark gelitten.

Die Zahl der Leistungsberechtigten (LB), die für diese Leistungsart einen Antrag gestellt haben, ist in Deutschland 2020 gegenüber 2019 um rund 14,4 Prozent gesunken (von rund 337.000 auf 288.000).

Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2021; eigene Darstellung

Zur Erklärung:

„Im Jahr 2020 macht sich die Corona-Pandemie bemerkbar. Zur Bekämpfung der Pandemie wurden weitreichende Maßnahmen wie Schulschließungen, massive Einschränkung von Freizeitaktivitäten in Vereinen oder Musikschulen oder auch von Ausflugs- und Übernachtungsmöglichkeiten ergriffen. Dies hatte auch zur Folge, dass die entsprechenden Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket in geringerem Umfang beantragt wurden.“

Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2021

Allerdings war die Situation regional verschieden, obwohl die Einschränkungen bundesweit zeitweise gleich waren. In Schleswig-Holstein war ein leichter Zuwachs von 1,4 % zu verzeichnen. Den stärksten Rückgang gab es in Sachsen (- 26,9 %), in Thüringen und Rheinland-Pfalz (je -26,5 %). Die große Bandbreite zeigt, dass die Pandemie sich in den Bundesländern unterschiedlich ausgewirkt hat.

Es stellt sich deshalb die Frage, wie insbesondere bei Kindern unter 18 Jahren auch in einer Pandemie die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben gewährleistet werden kann. Möglicherweise sind nachholende Aktivitäten zugunsten der Kinder regional unterschiedlich intensiv auszugestalten. Ob nachholende Aktivitäten die erlittenen Teilhabeverluste der Kinder vollständig kompensieren können, lässt sich noch nicht sagen. Der Handlungsbedarf erscheint um so wichtiger als in 2021 die Zahl der Leistungsberechtigten noch weiter sank (von 288.000 in 2020 auf 263.000 in 2021; -21,9 % in 2021 ggü. 2019). Zur Förderung von Unternehmen hat es mehr Initiativen und Förderungen gegeben als für die Kinder. Das sollte nicht so bleiben.

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Lohnquote – seit 30 Jahren keine Besserung

Die Lohnquote kann einen Hinweis geben auf die Einkommensverteilung. Sie ist definiert als Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen (Bruttolohnquote bei Bruttoentgelten incl. Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung).

Trotz steigendem Volkseinkommen in den letzten 30 Jahren konnten abhängig Beschäftigte ihren Anteil daran nicht erhöhen. Die Bruttolohnquote zeigt seit 1991 eine leicht sinkende Tendenz. Als wesentlicher Faktor für Verteilungsverluste kann die Schwäche der Gewerkschaften bei der Durchsetzung höherer Löhne gelten (s. hier).

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18; eigene Berechnung und Darstellung

Das 30-jährige Mittel der Lohnquote liegt bei 69,7 Prozent. Der Höchstwert seit 1946 wurde im Jahre 1981 mit 73,6 % erreicht. Einen starken Rückgang gab es zwischen 2003 und 2008. Seit 2021 sinkt die Lohnquote wieder. Eine Erklärung dafür könnten steigende (Energie-) Preise sein.

Die Bundesregierung sollte es als ihre Aufgabe sehen, die breiten Masse der abhängig Beschäftigten bei einer Verbesserung der Einkommenssituation zu unterstützen.

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Eingliederung von Langzeitarbeitslosen – 25.000 Eintritte erreicht

Als Instrument des sog. Teilhabechancengesetzes soll der § 16e SGB II seit 1.1.2019 die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen fördern (siehe auch hier und hier).

Im Mai 2022 betrug der Fallbestand 8.343 (vorläufige Zahl; Quelle der Zahlen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit). Das entspricht etwa dem Niveau vom Dezember 2019, also einem Jahr nach Einführung. Die Zahl der Eintritte lag bei 306. Sie liegt so niedrig wie nur beim Start des Instrumentes Januar 2019.

Seit September 2019 gehen die monatlichen Zugänge im Trend zurück (siehe auch hier und hier). Diese Entwicklung setzt also bereits deutlich vor der Corona-Pandemie ein. Die niedrigen Eintrittszahlen in den letzten Monaten sind insoweit bedenklich, als in der Pandemie die Zahl und der Anteil der Langzeitarbeitslosen besonders stark gestiegen ist (s. Anteil der Langzeitarbeitslosen an Arbeitslosen hat 10-Jahres-Hoch überschritten). Hier besteht großer Förder- und Handlungsbedarf, bei dem das dafür geschaffene Instrument „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ offensichtlich nicht wirkt oder nicht genutzt wird.

Seit Januar 2021 gehen außerdem die kontinuierlich Bestandszahlen zurück.

Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Eigene Darstellung.

Insgesamt sind bislang rund 25.700 Personen über das Instrument gefördert worden. Andererseits sind rund 17.300 bereits wieder ausgeschieden, was deutlich mehr etwa zwei von drei Geförderten betrifft (67,6 Prozent).

Damit verbunden sind Teilnahmedauern von deutlich unter der Förderdauer von zwei Jahren. Der Jahresfortschrittswert November 2021 bezogen auf die Austritte mit abgeschlossener Teilnahmedauer liegt bei 568 Tagen (max. möglich 720; ohne Bayern). Die tatsächliche durchschnittliche Teilnahmedauer beträgt 252 Tage in Hessen, am anderen Ende steht das Saarland mit 667 Tagen (also mehr als das Doppelte als in Hessen). Diese regionale Bandbreite zeigt, dass die Pandemie alleine nicht den großen Umfang von vorzeitigen Förderenden bewirkt (s. hier).

Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Eigene Darstellung.

Der Änderungsbedarf bei der Ausgestaltung der Förderung ist offensichtlich. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird vage von einer Weiterentwicklung gesprochen. Diese wird vermutlich erst 2023 gesetzlich geregelt. Bis dahin wäre es möglich, den Jobcentern untergesetzlich einen größeren örtlichen Ermessensspielraum zu geben.

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