Seitens der Bundesregierung und den Medien wird seit Monaten der „stabile Arbeitsmarkt“ hervorgehoben. Dabei wird allein auf die registrierte Arbeitslosigkeit (vgl. hier) Bezug genommen. Diese hat spätestens seit Einführung des SGB II (sog. „Hartz IV“) an Aussagekraft für eine Interpretation der Arbeitsmarktdynamik verloren. Gründe sind die veränderten Definitionen und Zählweisen.
Aussagekräftiger als die Arbeitslosigkeit ist das Maß der sog. Unterbeschäftigung. In der Unterbeschäftigung werden in der engsten Definition zusätzlich zu den registrierten Arbeitslosen auch die Personen erfasst, die nicht als arbeitslos im Sinne des SGB gelten, weil sie Teilnehmende an einer Maßnahme der Arbeitsmarktpolitik oder in einem arbeitsmarktbedingten Sonderstatus sind.
Zu Beginn der Geschichte des Internationalen Frauentags war die Forderung nach der Einführung eines Frauenwahlrechts das bestimmende Thema. Inzwischen bringt er verschiedene Aspekte einer nicht erfolgten Frauengleichstellung zum Ausdruck (s. hier oder hier).
Dazu gehört das Sicherheitsgefühl und die Möglichkeit, sich sicher zu bewegen. Nehmen Frauen und Männer das Sicherheitsgefühl unterschiedlich wahr?
Hinweise dazu können aus einer repräsentativen wissenschaftlichen Studie „Zusammen|Leben heute – Deutsche Teilstudie der 10. Welle des European Social Survey (ESS)“ gewonnen werden. Geleitet wurde diese Studie durch das GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim. Im Auftrag hat das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft 7.000 zufällig ausgewählte Personen im Alter von 15 bis 90 Jahren in Deutschland zwischen September 2021 und Januar 2022 befragt. Die absoluten Zahlen sind zur Korrektur der Ausfälle durch Anpassung der Strukturen der Stichprobe an die Strukturen der Grundgesamtheit gewichtet. Aus diesen Datensätzen lässt sich das Sicherheitsgefühl von Frauen und Männern (eine dritte Antwortmöglichkeit gab es nicht) erhellen.
Wie sicher fühlen Sie sich, oder würden Sie sich fühlen, wenn Sie nach Einbruch der Dunkelheit alleine zu Fuß in Ihrem Wohngebiet unterwegs sind oder wären?
Die Frage konnte mit „Sehr sicher“, „Sicher“, „Unsicher“ oder „Sehr unsicher“ beantwortet werden.
Analyse und Ergebnisse
Sehr sicher oder sicher fühlten sich 76,8 Prozent der befragten Männer (2.558), aber nur 54,0 Prozent der Frauen (1.872). Besonders deutlich unterscheidet sich das Sicherheitsgefühl bei der Antwort „sehr unsicher“: „Sehr unsicher“ fühlten sich rund 3,4 mal so häufig Frauen (423) als Männer (119).
Frauen (1.594) fühlten sich insgesamt wesentlich unsicherer, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit alleine zu Fuß in ihrem Wohngebiet unterwegs sind oder wären.
Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist signifikant (N der gültigen Fälle = 6798,97, Pearson Chi-Quadrat 505,47, df(3,00), p=.000) mit einem mittleren Effekt (Cramer’s V = .27).
Bedeutung
Hochgerechnet auf die Bevölkerung entsprechen 12,2 Prozent der sich „sehr unsicher“ fühlenden Frauen über 4 Mio. Betroffene.
Wenn sich Frauen wie Männer unsicher fühlen, kann das – unabhängig von den Gründen wie Belästigung – weitreichende Konsequenzen haben. So können sie in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe (z. B. Abendveranstaltungen, Kneipe) oder in ihrer Mobilität (z. B. bei Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs) eingeschränkt sein. Auch Arbeitszeiten am Abend oder Studienzeiten (Hochschulen) können erschwert sein.
Schlussfolgerung
Lokal gibt es unterschiedliche Gegenmaßnahmen wie Erkennungszeichen oder kostenloser Begleitservice. Die Stadt- und Straßenplanung bietet oftmals noch unausgeschöpftes Potenzial (z. B. Alltagswege zu öffentlichen Verkehrsmitteln, Einrichtungen, Geschäften etc. so anordnen, dass möglichst viel Frequenz erzeugt wird; gute Beleuchtung; Gehwegbreiten; Spiegel bei schlecht einsehbaren Ecken), um (Sicherheits-) Bedürfnisse von Frauen stärker zu berücksichtigen.
Allerdings braucht es mehr, unter anderem mehr Respekt. Die öffentlichen Stellen (Bundes-, Landesregierungen, Kommunen, Polizei) aber auch Arbeitgeber müssen mehr und bessere Strategien auf den Weg bringen, um das Sicherheitsgefühl nachhaltig zu erhöhen.
Bundesweites Hilfetelefon Gewalt an Frauen:
Kostenlose Telefonhotline für Betroffene 08000 116 016
Die Nummer ist kostenlos und bundesweit rund um die Uhr erreichbar. Sie kann auch ohne Handyguthaben genutzt werden. Mehr Informationen unter: www.hilfetelefon.de
Mit dem Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine sind zahlreiche Kosten (z. B. Energie) gestiegen. In welchem Umfang macht sich die Bevölkerung in diesem Zusammenhang Sorgen, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtert?Und macht ihr Arbeitsmarktstatus einen Unterschied?
Daten
Um diese Frage zu beantworten, wurden Daten heranzogen, für die das Meinungsforschungsinstitut forsa im Auftrag des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung als repräsentative Bevölkerungsbefragung zum Thema Deutschland und der Ukraine-Krieg durchgeführt hat (*). Im Erhebungszeitraum 25.07.2022 bis 27.07.2022 wurde die deutschsprachige Wohnbevölkerung ab 14 Jahren in telefonischen Interviews (CATI) befragt. Die Auswahl der Befragten erfolgte durch eine mehrstufige Zufallsstichprobe. Von 1.501 Personen liegen Antworten vor. Für die folgenden Auswertungen wurden die Daten entsprechend der Bevölkerungsstruktur gewichtet.
Bei der Erhebung wurde unter anderem gefragt:
„Machen Sie sich im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine Sorgen, dass sich Ihre finanzielle Situation verschlechtert?“ (Frage 3)
und
„Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass sich Ihre finanzielle Situation verschlechtert?“ (Frage 11)
Diesen Aussagen konnten auf einer Skala von ein bis vier bewertet werden (Frage 3: 1 = sehr große, 2 = große, 3 = weniger große, 4 = gar keine Sorgen; Frage 11: 1 = sehr wahrscheinlich, 2 = eher wahrscheinlich, 3 = weniger wahrscheinlich, 4 = gar nicht wahrscheinlich).
Analyse und Ergebnisse
Von 1.501 Befragten machen sich 46,3 % sehr große oder große Sorgen, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtert (Mittelwert 2,58). Und mehr als die Hälfte (53,3 %) halten dies für (sehr) wahrscheinlich (Mittelwert 2,37).
In Mecklenburg-Vorpommern machen sich die meisten Befragten Sorgen (Mittelwert 2,0) und am wenigsten in Bremen (Mittelwert 2,8).
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die finanzielle Situation verschlechtert, liegt höher. In Sachsen-Anhalt rechnen die Befragten am häufigsten mit einer Verschlechterung (Mittelwert 1,97) und am wenigsten in Hamburg (Mittelwert 2,52).
Die Varianzhomogenität war gemäß dem Levene-Test nicht gegeben (p< .002 finanzielle Verschlechterung; p< .007 Wahrscheinlichkeit der Verschlechterung). Es wurde eine einfaktorielle ANOVA berechnet, um zu untersuchen, ob es einen Unterschied in der Einschätzung zwischen den Befragten in den Bundesländern gibt. Der Test zeigte einen signifikanten Unterschied in der Einschätzung der Verschlechterung zwischen den Bundesländern, F (15, 1485)=29,96, p < 0,002. Die Einschätzung der Wahrscheinlichkeit war zwischen den Bundesländern nicht signifikant (dafür in den Bundesländern), F (15, 1485)=16,16, p < 0,272.
Der Games-Howell post-hoc-Test für heterogene Varianzen zeigte einen signifikanten Unterschied in der Einschätzung der Verschlechterung zwischen bestimmten Bundesländern (paarweiser Vergleich ohne Darstellung der Konfidenzintervalle).
Einschätzung der Verschlechterung zwischen bestimmten Bundesländern
Bundesland
Mittelwert
Paarweiser Vergleich (Differenz zum Bundesland-Mittelwert)
Baden-Württemberg
0,77
Mecklenburg-Vorpommern (p = .035)
Schließlich wird aus den Zahlen deutlich, dass der Arbeitsmarkt-Status einen Unterschied macht.
ArbeiterInnen machen sich zu rund 80 % Sorgen, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtert. Am wenigsten von Sorgen betroffen sind BeamtInnen. Arbeitslose sind in der Kategorie „Rest“ zu verorten. Auch diese Gruppe liegt noch über dem Durchschnitt mit 47,7 %.
ArbeiterInnen unterscheiden sich signifikant von den anderen Statusgruppen, mit Ausnahme der Hausfrauen/-männer und der Gruppe „Rest“.
Schlussfolgerung
Ein sehr großer Teil der Bevölkerung machte sich sehr große oder große Sorgen, dass sich ihre finanzielle Situation verschlechtert im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Dies trifft für alle Bundesländer zu, sodass es kaum Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt (mit Ausnahme Baden-Württemberg im Vergleich zu Mecklenburg-Vorpommern).
Mehr als die Hälfte der Befragten halten eine solche finanzielle Verschlechterung für wahrscheinlich.
Je nach Status der Erwerbstätigkeit variiert der Anteil der Befragten, die sich sehr große oder große Sorgen, dass sich ihre finanzielle Situation im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine verschlechtert. Dabei machten sich die Arbeiter*innen am häufigsten Sorgen – vier von fünf Betroffenen. Auch wenn sich BeamtInnen von den Statusgruppen am wenigsten Sorgen machen, ist der Anteil unter ihnen mit Sorgen dennoch hoch (rund 37 %).
Seit der Befragung sind einige Entlastungen der Bevölkerungen durch die Regierungen in Bund und Land realisiert worden. Allerdings wurde hier in der öffentlichen Diskussion kritisiert, dass die Betroffenen unterschiedlich davon partizipieren.
Auf Dauer bleiben viele Personen mit großen finanziellen Sorgen nicht ohne Folgen für den sog. sozialen Frieden.
*Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Berlin (2023). Trendfragen Ukraine (Woche 30/2022). GESIS, Köln. ZA7911 Datenfile Version 1.0.0, https://doi.org/10.4232/1.14043
Der seit 25 Jahren bestehende enge Zusammenhang zwischen dem Leistungsbilanzsaldo und Verbraucherpreisindex (Inflation) hat sich in 2022 deutlich gelockert (zum Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit).
Seit Jahrzehnten polarisieren die Positionen, dass ohne Fachkräfte aus dem Ausland Wohlfahrtsverluste drohen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite werden AusländerInnen als bedrohlich dargestellt. Nun werden von der Bundesregierung „Chancenkarten“ und andere Regelungen, nach dem es schon zahlreiche Versuche gab, auf den Weg gebracht, um die Einwanderung zu ermöglichen, aber auf Fachkräfte zu begrenzen.
Dabei wird selten analysiert und begründet, warum zugezogene AusländerInnen wieder wegziehen. Ohne diese Betrachtung werden Regelungen zur erleichterten Einwanderung Fachkräfte nicht zum dauerhaften Bleiben motivieren.
Der praktische Regelfall der Sozialarbeit und Sozialpädagogik ist oft immer noch, dass ihren Zielgruppen geholfen wird. Aktuell stehen die Flüchtlinge, insbesondere aus der Ukraine, im Fokus.
Unter dem Radar einer größeren Öffentlichkeit gibt es Initiativen von Flüchtlingen, die sich selbst organisieren. Beispielhaft seien im Folgenden zwei genannt.
Seit dem Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine bedürfen Menschen in der Ukraine und Geflüchtete aus diesem Land verstärkt Unterstützung. Wie stark möchten Menschen in Deutschland UkrainerInnen und Geflüchtete unterstützen und gibt es dabei regionale Unterschiede?
Arbeitsgelegenheiten (AGH) und ihre Vorläufer gibt es schon rund 100 Jahre und sind von Anfang an umstritten. Arbeitsgelegenheiten sind sowohl im SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) als auch im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG; s. hier) ein Instrument. Haupteinwände beim SGB II sind sog. lock-in-Effekte und eine vermutete Wettbewerbsverdrängung zulasten von Unternehmen, die keine AGH durchführen. Die Kritik hat zu einer starken Reduzierung dieses Instrumenteneinsatzes geführt (s. hier)
Die Wirksamkeit ist wissenschaftliche nicht einfach zu messen. So haben beispielsweise Maßnahmen zur beruflichen Aktivierung und Eingliederung (§ 45 SGB III) andere Ziele, Voraussetzungen und Ausgestaltungen als eine AGH. Insofern ist der Vergleich zwischen diesen Instrumenten nicht oder kaum möglich, zumal AGH nur als „ultima ratio“ eingesetzt werden sollen. Auch die Bedingungen für AGH haben sich im SGB II über die Zeit verändert, insbesondere durch die Änderung in 2012. Deshalb ist ein Vergleich der Wirkungen einer AGH im Jahr 2013ff mit denen vor 2012 eingeschränkt (da gab zum Beispiel es auch die Möglichkeit in einer AGH qualifiziert zu werden). Die wenigen Studien beschränken sich bei der Betrachtung auf das SGB II – AGH gemäß dem AsylbLG sind eher ein blinder Fleck in der Forschung.
Obgleich AGH nicht für alle denkbaren Personengruppen geeignet sein müssen, gibt es doch einige, bei denen die Teilnahme an einer AGH positiv war (s. Veronika Knize, Markus Wolf, Cordula Zabel, Tamara Pongratz: Aktive Arbeitsmarktpolitik für junge Erwachsene in der Grundsicherung: Die Beschäftigungswirkung unterscheidet sich je nach Instrument deutlich, IAB-Forum 15.12.2022; https://www.iab-forum.de/aktive-arbeitsmarktpolitik-fuer-junge-erwachsene-in-der-grundsicherung-die-beschaeftigungswirkung-unterscheidet-sich-je-nach-instrument-deutlich/).
Zu den jungen Menschen, für die positive Wirkungen bei einerAGH erwartet werden können, gehören
Positive Beschäftigungseffekte bei jungen Müttern in Paarfamilien
Positive Effekte auf die betriebliche Ausbildung bei jungen Männern in Ostdeutschland (zu den großen regionalen Unterschieden von AGH s. hier)
Positive Beschäftigungs- oder Ausbildungseffekte bei sehr arbeitsmarktfernen jungen Menschen ohne Berufsabschluss oder ohne Erwerbserfahrung
Im Jahresdurchschnitt 2021 haben 4,5 Prozent der unter 25-Jährigen an einer AGH teilgenommen (Bestand; rund 2.450 Teilnehmende). Das Instrument spielt somit keine große Rolle. Die gE-Jobcenter (Arbeitsagentur und Kreis) haben bezogen auf die Eintritte von unter 25-Jährigen eine höhere Förderquote (6,5 %) als die zkT-Jobcenter (6 %; kommunal).
Die Bundesregierung hat einen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit erstellt. Die darin vorgesehenen Änderungen und Neuerung für die Stärkung der Aus- und Weiterbildung wurden im Koalitionsvertrag angekündigt. Sie werden überwiegend im SGB III (Arbeitsförderung) geregelt, finden teilweise aber auch Anwendung im SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende).
Elemente des Gesetzes
(Referentenentwurf Stand: 16.12.2022)
Reform der Weiterbildungsförderung Beschäftigter nach § 82 SGB III
Es wird auf die Fördervoraussetzungen „Betroffenheit der Tätigkeit vom Strukturwandel“ oder „Weiterbildung in einem Engpassberuf“ verzichtet
feste Fördersätze und weniger Förderkombinationen
Einführung eines Qualifizierungsgeldes
Fördervoraussetzungen des Qualifizierungsgeldes sind ein strukturwandelbedingter Qualifizierungsbedarf eines nicht unerheblichen Teils der Belegschaft und eine entsprechende Betriebsvereinbarung oder ein entsprechender betriebsbezogener Tarifvertrag.
Das Qualifizierungsgeld wird als Entgeltersatz in Höhe von 60 beziehungsweise 67 % des Nettoentgeltes gewährt.
Einführung einer Bildungszeit und Bildungsteilzeit
Die Bildungs(teil)zeit wird von den Beschäftigten selbst initiiert.
Die (teilweise) Freistellung von der Arbeitszeit bedarf einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten.
Während der Bildungs(teil)zeit sichert eine Entgeltersatzleistung (= Bildungszeitgeld) den Lebensunterhalt.
Einführung einer Ausbildungsgarantie
Zielgruppe: junge Menschen, die nicht über einen Berufsabschluss verfügen
Modifizierung der Einstiegsqualifizerung
Berufsorientierungspraktikum
Dabei handelt es sich um kurze betriebliche Praktika, die die berufliche Orientierung junger Menschen stärken sollen. Eingeschlossen ist die Neuausrichtung nach einem abgebrochenem Studium oder abgebrochener Berufsausbildung. Ziel ist die Aufnahme einer betrieblichen Berufsausbildung.
Um einen Anreiz für die Aufnahme einer Ausbildung in einer anderen Region jenseits des Tagespendelbereichs zu schaffen, wird ein Mobilitätszuschuss eingeführt.
Verlängerung der Erstattungen bei beruflicher Weiterbildung während Kurzarbeit
Vorläufige Bewertung
Der Referentenentwurf verspricht mehrere Verbesserungen der Förderung der Aus- und Weiterbildung.
Er verzichtet allerdings weitgehend auf eine Analyse der bisherigen Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt (Beispiel: wieso greifen die bisherigen Möglichkeiten für Praktika und der Weiterbildungsförderung nicht gut genug?). So bleiben bedeutsame Einflussfaktoren außer Betracht, die die Zielerreichung erschweren:
Benachteiligung beim Bildungserwerb aufgrund sozialer Herkunft (PISA-Ergebnisse)
hohe Abbruchquote bzw. vorzeitige Auflösungen von Ausbildungsverträgen
geringe Tarifbindung von Unternehmen und damit geringe Wirkung von Weiterbildungsregelungen in Tarifverträgen
geringe Neigung von KMU ihre Beschäftigungen bei der Weiterbildung zu fördern
Ausbildungsvergütungen, die nicht ausreichend sind, um nach einem Umzug einen eigenen Haushalt zuführen
eingeschränktes Förderinstrumentarium der Jobcenter, die auf Bürgergeld-Berechtigte zugeschnitten sind
zu niedrige Kostensätze, die Trägern für die Förderung der beruflichen Weiterbildung erstattet werden, um eine hochwertige Weiterbildung anzubieten
Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit sollte an diesen Stellen nachgebessert werden.
So könnte beispielsweise statt einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten als Voraussetzung für die Freistellung von der Arbeitszeit ein Rechtsanspruch den Eintritt in eine Weiterbildung erleichtern.
Die Höhe des Mobilitätszuschusses richtet sich nach den erforderlichen Fahrkosten für eine (1; sic!) monatliche Familienheimfahrt im ersten Ausbildungsjahr. Damit ein Umzug realistisch wird, sollte der Zuschuss für 16-/17-Jährige höher ausfallen.
Es sollten bei geringqualifizierten oder geringverdienenden Personen auch die Förderung der Ausstattung ermöglicht werden, damit diese an digitalen Formaten teilnehmen können.
Schließlich stellt sich die Frage, inwieweit die Unternehmen, die von der verbesserten Aus- und Weiterbildung profitieren, an den Kosten beteiligt werden könnten.
Als Instrument des sog. Teilhabechancengesetzes soll der § 16e SGB II seit 1.1.2019 die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen fördern (siehe auch hier und hier).
Im Oktober 2022 betrug der Fallbestand 7.844 Förderungen (vorläufige Zahl; Quelle der Zahlen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit). Das entspricht etwa dem Niveau vom November 2019, also rund einem Jahr nach Einführung. Die Zahl der Eintritte lag im Oktober 2022 bei 268. Sie liegt so niedrig wie noch nie und stellt somit den Tiefstwert seit Start des Instrumentes Januar 2019 dar.
Seit September 2019 gehen die monatlichen Zugänge im Trend zurück (siehe auch hier und hier und hier). Diese Entwicklung setzt also bereits deutlich vor der Corona-Pandemie ein. Die niedrigen Eintrittszahlen in den letzten Monaten sind insoweit bedenklich, als in der Pandemie die Zahl und der Anteil der Langzeitarbeitslosen besonders stark gestiegen ist (s. Anteil der Langzeitarbeitslosen an Arbeitslosen hat 10-Jahres-Hoch überschritten). Hier besteht großer Förder- und Handlungsbedarf, bei dem das dafür geschaffene Instrument „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ offensichtlich nicht wirkt oder nicht genutzt wird.
Seit Januar 2021 gehen außerdem die kontinuierlich Bestandszahlen zurück.
Insgesamt sind bislang rund 27.800 Personen über das Instrument gefördert worden. Andererseits sind rund 19.900 bereits wieder ausgeschieden, was deutlich mehr etwa 71 Prozent der Geförderten betrifft.
Damit verbunden sind Teilnahmedauern von deutlich unter der Förderdauer von zwei Jahren. Die sinkenden Einritte kompensieren nicht die vorzeitigen Austritte, sodass der Bestand sinkt.
Der Änderungsbedarf bei der Ausgestaltung der Förderung ist offensichtlich. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird vage von einer Weiterentwicklung gesprochen. Das Bürgergeld-Gesetz lässt das Instrument unverändert. Diese wird vermutlich erst 2023 gesetzlich geregelt. Bis dahin wäre es möglich, den Jobcentern untergesetzlich einen größeren örtlichen Ermessensspielraum zu geben.