Arbeitsgelegenheiten für junge Menschen

Arbeitsgelegenheiten (AGH) und ihre Vorläufer gibt es schon rund 100 Jahre und sind von Anfang an umstritten. Arbeitsgelegenheiten sind sowohl im SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) als auch im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG; s. hier) ein Instrument. Haupteinwände beim SGB II sind sog. lock-in-Effekte und eine vermutete Wettbewerbsverdrängung zulasten von Unternehmen, die keine AGH durchführen. Die Kritik hat zu einer starken Reduzierung dieses Instrumenteneinsatzes geführt (s. hier)

Die Wirksamkeit ist wissenschaftliche nicht einfach zu messen. So haben beispielsweise Maßnahmen zur beruflichen Aktivierung und Eingliederung (§ 45 SGB III) andere Ziele, Voraussetzungen und Ausgestaltungen als eine AGH. Insofern ist der Vergleich zwischen diesen Instrumenten nicht oder kaum möglich, zumal AGH nur als „ultima ratio“ eingesetzt werden sollen. Auch die Bedingungen für AGH haben sich im SGB II über die Zeit verändert, insbesondere durch die Änderung in 2012. Deshalb ist ein Vergleich der Wirkungen einer AGH im Jahr 2013ff mit denen vor 2012 eingeschränkt (da gab zum Beispiel es auch die Möglichkeit in einer AGH qualifiziert zu werden). Die wenigen Studien beschränken sich bei der Betrachtung auf das SGB II – AGH gemäß dem AsylbLG sind eher ein blinder Fleck in der Forschung.

Obgleich AGH nicht für alle denkbaren Personengruppen geeignet sein müssen, gibt es doch einige, bei denen die Teilnahme an einer AGH positiv war (s. Veronika Knize, Markus Wolf, Cordula Zabel, Tamara Pongratz: Aktive Arbeitsmarktpolitik für junge Erwachsene in der Grundsicherung: Die Beschäftigungswirkung unterscheidet sich je nach Instrument deutlich, IAB-Forum 15.12.2022; https://www.iab-forum.de/aktive-arbeitsmarktpolitik-fuer-junge-erwachsene-in-der-grundsicherung-die-beschaeftigungswirkung-unterscheidet-sich-je-nach-instrument-deutlich/).

Zu den jungen Menschen, für die positive Wirkungen bei einer AGH erwartet werden können, gehören

  • Positive Beschäftigungseffekte bei jungen Müttern in Paarfamilien
  • Positive Effekte auf die betriebliche Ausbildung bei jungen Männern in Ostdeutschland (zu den großen regionalen Unterschieden von AGH s. hier)
  • Positive Beschäftigungs- oder Ausbildungseffekte bei sehr arbeitsmarktfernen jungen Menschen ohne Berufsabschluss oder ohne Erwerbserfahrung

Im Jahresdurchschnitt 2021 haben 4,5 Prozent der unter 25-Jährigen an einer AGH teilgenommen (Bestand; rund 2.450 Teilnehmende). Das Instrument spielt somit keine große Rolle. Die gE-Jobcenter (Arbeitsagentur und Kreis) haben bezogen auf die Eintritte von unter 25-Jährigen eine höhere Förderquote (6,5 %) als die zkT-Jobcenter (6 %; kommunal).

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Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit

Quelle der Daten: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2022, BIBB; eigene Darstellung

Die Bundesregierung hat einen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit erstellt. Die darin vorgesehenen Änderungen und Neuerung für die Stärkung der Aus- und Weiterbildung wurden im Koalitionsvertrag angekündigt. Sie werden überwiegend im SGB III (Arbeitsförderung) geregelt, finden teilweise aber auch Anwendung im SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende).

Elemente des Gesetzes

(Referentenentwurf Stand: 16.12.2022)

  • Reform der Weiterbildungsförderung Beschäftigter nach § 82 SGB III
    • Es wird auf die Fördervoraussetzungen „Betroffenheit der Tätigkeit vom Strukturwandel“ oder „Weiterbildung in einem Engpassberuf“ verzichtet
    • feste Fördersätze und weniger Förderkombinationen
  • Einführung eines Qualifizierungsgeldes
    • Fördervoraussetzungen des Qualifizierungsgeldes sind ein strukturwandelbedingter Qualifizierungsbedarf eines nicht unerheblichen Teils der Belegschaft und eine entsprechende Betriebsvereinbarung oder ein entsprechender betriebsbezogener Tarifvertrag.
    • Das Qualifizierungsgeld wird als Entgeltersatz in Höhe von 60 beziehungsweise 67 % des Nettoentgeltes gewährt.
  • Einführung einer Bildungszeit und Bildungsteilzeit
    • Die Bildungs(teil)zeit wird von den Beschäftigten selbst initiiert.
    • Die (teilweise) Freistellung von der Arbeitszeit bedarf einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten.
    • Während der Bildungs(teil)zeit sichert eine Entgeltersatzleistung (= Bildungszeitgeld) den Lebensunterhalt.
  • Einführung einer Ausbildungsgarantie
    • Zielgruppe: junge Menschen, die nicht über einen Berufsabschluss verfügen
    • Modifizierung der Einstiegsqualifizerung
  • Berufsorientierungspraktikum
    • Dabei handelt es sich um kurze betriebliche Praktika, die die berufliche Orientierung junger Menschen stärken sollen. Eingeschlossen ist die Neuausrichtung nach einem abgebrochenem Studium oder abgebrochener Berufsausbildung. Ziel ist die Aufnahme einer betrieblichen Berufsausbildung.
    • Um einen Anreiz für die Aufnahme einer Ausbildung in einer anderen Region jenseits des Tagespendelbereichs zu schaffen, wird ein Mobilitätszuschuss eingeführt.
  • Verlängerung der Erstattungen bei beruflicher Weiterbildung während Kurzarbeit

Vorläufige Bewertung

Der Referentenentwurf verspricht mehrere Verbesserungen der Förderung der Aus- und Weiterbildung.

Er verzichtet allerdings weitgehend auf eine Analyse der bisherigen Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt (Beispiel: wieso greifen die bisherigen Möglichkeiten für Praktika und der Weiterbildungsförderung nicht gut genug?). So bleiben bedeutsame Einflussfaktoren außer Betracht, die die Zielerreichung erschweren:

  • Benachteiligung beim Bildungserwerb aufgrund sozialer Herkunft (PISA-Ergebnisse)
  • hohe Abbruchquote bzw. vorzeitige Auflösungen von Ausbildungsverträgen
  • geringe Tarifbindung von Unternehmen und damit geringe Wirkung von Weiterbildungsregelungen in Tarifverträgen
  • geringe Neigung von KMU ihre Beschäftigungen bei der Weiterbildung zu fördern
  • Ausbildungsvergütungen, die nicht ausreichend sind, um nach einem Umzug einen eigenen Haushalt zuführen
  • eingeschränktes Förderinstrumentarium der Jobcenter, die auf Bürgergeld-Berechtigte zugeschnitten sind
  • zu niedrige Kostensätze, die Trägern für die Förderung der beruflichen Weiterbildung erstattet werden, um eine hochwertige Weiterbildung anzubieten

Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und Einführung einer Bildungszeit sollte an diesen Stellen nachgebessert werden.

  • So könnte beispielsweise statt einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten als Voraussetzung für die Freistellung von der Arbeitszeit ein Rechtsanspruch den Eintritt in eine Weiterbildung erleichtern.
  • Die Höhe des Mobilitätszuschusses richtet sich nach den erforderlichen Fahrkosten für eine (1; sic!) monatliche Familienheimfahrt im ersten Ausbildungsjahr. Damit ein Umzug realistisch wird, sollte der Zuschuss für 16-/17-Jährige höher ausfallen.
  • Es sollten bei geringqualifizierten oder geringverdienenden Personen auch die Förderung der Ausstattung ermöglicht werden, damit diese an digitalen Formaten teilnehmen können.

Schließlich stellt sich die Frage, inwieweit die Unternehmen, die von der verbesserten Aus- und Weiterbildung profitieren, an den Kosten beteiligt werden könnten.

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Eingliederung von Langzeitarbeitslosen: Eintritte auf dem Tiefpunkt

Als Instrument des sog. Teilhabechancengesetzes soll der § 16e SGB II seit 1.1.2019 die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen fördern (siehe auch hier und hier).

Im Oktober 2022 betrug der Fallbestand 7.844 Förderungen (vorläufige Zahl; Quelle der Zahlen: Statistik der Bundesagentur für Arbeit). Das entspricht etwa dem Niveau vom November 2019, also rund einem Jahr nach Einführung. Die Zahl der Eintritte lag im Oktober 2022 bei 268. Sie liegt so niedrig wie noch nie und stellt somit den Tiefstwert seit Start des Instrumentes Januar 2019 dar.

Seit September 2019 gehen die monatlichen Zugänge im Trend zurück (siehe auch hier und hier und hier). Diese Entwicklung setzt also bereits deutlich vor der Corona-Pandemie ein. Die niedrigen Eintrittszahlen in den letzten Monaten sind insoweit bedenklich, als in der Pandemie die Zahl und der Anteil der Langzeitarbeitslosen besonders stark gestiegen ist (s. Anteil der Langzeitarbeitslosen an Arbeitslosen hat 10-Jahres-Hoch überschritten). Hier besteht großer Förder- und Handlungsbedarf, bei dem das dafür geschaffene Instrument „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ offensichtlich nicht wirkt oder nicht genutzt wird.

Seit Januar 2021 gehen außerdem die kontinuierlich Bestandszahlen zurück.

Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Eigene Darstellung.

Insgesamt sind bislang rund 27.800 Personen über das Instrument gefördert worden. Andererseits sind rund 19.900 bereits wieder ausgeschieden, was deutlich mehr etwa 71 Prozent der Geförderten betrifft.

Damit verbunden sind Teilnahmedauern von deutlich unter der Förderdauer von zwei Jahren. Die sinkenden Einritte kompensieren nicht die vorzeitigen Austritte, sodass der Bestand sinkt.

Der Änderungsbedarf bei der Ausgestaltung der Förderung ist offensichtlich. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird vage von einer Weiterentwicklung gesprochen. Das Bürgergeld-Gesetz lässt das Instrument unverändert. Diese wird vermutlich erst 2023 gesetzlich geregelt. Bis dahin wäre es möglich, den Jobcentern untergesetzlich einen größeren örtlichen Ermessensspielraum zu geben.

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Arbeitsmarkt soll inklusiver werden

Der Bund hat einen Referentenentwurf für ein Gesetz zu einem inklusiven Arbeitsmarkt erarbeitet. Die Kernelemente wurden im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigt.

Um den Arbeitsmarkt inklusiver zu machen, sind folgende gesetzliche Änderungen vorgesehen:

  • Erhöhte Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber, die trotz Beschäftigungspflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen („vierte Staffel“), für kleinere Arbeitgeber sollen wie bisher Sonderregelungen gelten,
  • Konzentration der Mittel aus der Ausgleichsabgabe auf die Förderung der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt,
  • Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes,
  • Aufhebung der Deckelung für den Lohnkostenzuschuss beim Budget für Arbeit,
  • Neuausrichtung des Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizinische Begutachtung.

Damit sollen Menschen mit Behinderung besser eine Erwerbsarbeit aufnehmen und nachgehen können.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden diese Änderungen einen Beitrag leisten, und dennoch werden weitere Schritte notwendig bleiben.

Die bisherigen Vorhaben, auch gesetzlicher Art, zur Inklusion, waren nicht ausreichend. Dazu gehören das Bundesteilhabegesetz, das Teilhabestärkungsgesetz, die Einführung eines neuen Typs von anderen Leistungsanbietern nach § 60 SGB IX. Darüber hinaus sehen sich Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben diskriminiert (hier).

An der Zielverfehlung hat die Kritik in Deutschland am stetigen Anwachsen der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sowie ein deutlicher Mangel an Übergängen aus den WfbM zum allgemeinen Arbeitsmarkt nichts geändert.
Besonders deutliche Kritik hatte der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK-Ausschuss) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland geübt und 2015 gerügt, „dass segregierte Werkstätten für behinderte Menschen weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern.“ Deshalb fordert der UN-BRK-Ausschuss die Bundesregierung auf, einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen, der im Einklang mit den Menschenrechten steht. Der Fokus soll dabei auf der Schaffung von zugänglichen Arbeitsplätzen bei öffentlichen und privaten Arbeitgebern im allgemeinen Arbeitsmarkt liegen.

Auch nach dieser Rüge wurde zuletzt sowohl die Zahl der Werkstätten für Menschen mit Behinderung ausgeweitet als auch die Zahl der Menschen in diesen Werkstätten, zumindest was die in der BAG WfbM organisierten betrifft: In 2022 waren 684 Werkstätten (2017 ca. 680) dort organisiert mit rd. 316.000 Werkstattbeschäftigten (2017 rd. 310.000)

In der UN-BRK, die Deutschland unterzeichnet hat, sind keine „Sonderwelten“ für Menschen mit Behinderung vorgesehen, sondern das Recht auf Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

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Teilhabe am Arbeitsmarkt stagniert

„Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) soll als Instrument des sog. Teilhabechancengesetzes seit 1.1.2019 die Teilhabe von Langzeitleistungsbeziehenden fördern (siehe auch hier). Dabei geht es um Personen, die in der Regel innerhalb der letzten sieben Jahre sechs Jahre Arbeitslosengeld II bezogen haben, unabhängig davon, ob sie arbeitslos waren oder nicht.

Die Nutzung des Instruments stagniert seit über einem Jahr (siehe auch Teilhabe am Arbeitsmarkt am Maximum?). Sowohl für die Eintritte (bereits seit 5/2019) als auch für den Bestand (seit 1/2021) ist ein Rückgang zu beobachten (siehe auch Teilhabe am Arbeitsmarkt im Sinkflug 2021? und Teilhabe am Arbeitsmarkt – nur für 40.000?). Es ist deutlich, dass der Rückgang der Eintritte bereits vor der Corona-Pandemie eingesetzt hat.

Im Oktober 2022 wurden 40.107 Personen gefördert (vorläufige Zahl); das entspricht dem Niveau vom Juli 2020.

Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Eigene Darstellung; eigene Darstellung

Ohne Vorförderung – also über die Überleitung von Geförderten aus anderen Förderinstrumenten in § 16i SGB II – von 13 % (Oktober 2022), wären die Eintritte in 2019 sicherlich noch so hoch gewesen und der Bestandsaufbau wesentlich langsamer erfolgt.

Die Neueintritte bzw. Nachbesetzungen von Arbeitsplätzen sind geringer als der Abbau. Die hohe Zahl an vorzeitigen Austritten (42,6 %, gleitende 12-Monatssumme 7 /2022) trägt zum Bestandsabbau bei.

Erleichterungen im Zugang hätten untergesetzlich erfolgen können. So könnte der Bund beispielsweise die Ausübung einer längeren und geringen Minijob-Tätigkeit als unschädlich für die Förderung nach § 16i SGB II einräumen. Da solche Anpassungen nicht vorgenommen wurden, ist davon auszugehen, dass das erreichte Volumen das politisch gewünschte Maß erreicht hat.

Im Gesetzesentwurf für das Bürgergeldgesetz wird langfristig mit maximal 40.000 Förderfällen für § 16i SGB II kalkuliert. Folglich wird hier von Nachbesetzungen von Austritten ausgegangen, aber nicht mit einer Ausweitung der Teilhabe an Arbeit. Passend wurde das Budget der Jobcenter für 2023 gekürzt.

Das Recht auf Teilhabe – wie es auch gesetzlich abgesichert ist – wird somit nicht dauerhaft und nur begrenzt eingelöst. Die mit dem Bürgergeldgesetz beschlossene Entfristung des Eintritts in die Förderung der Teilhabe am Arbeitsmarkt wird selbst nicht ausreichen, um den Bestand zu halten oder zu erhöhen.

Das Instrument sollte in seinem Design geändert werden und der Bund mehr Mittel (und Verpflichtungsermächtigungen) als bisher dafür bereitstellen. Dann könnten die bisher in der Förderung unterrepräsentierten Frauen, AusländerInnnen und Personen ohne Berufsabschluss angemessener Teilhabe erfahren. Für eine Änderung der Umsetzung spricht zudem, dass eine hohe Zahl von 40,4 % drei Monate nach Austritt (gleitende Jahressumme 1/2022; Daten der gemeinsamen Einrichtungen) erneut leistungsberechtigt und arbeitslos ist (und nicht in einer anderen Maßnahme, also ohne Anschlussperspektive).

Nach der beschlossenen Entfristung des Instruments im Rahmen des Bürgergeld-Gesetzes nimmt gegenwärtig die Argumentation zu, dass es sich beim § 16i SGB II um ein teures Förderinstrument handele im Vergleich zu anderen. Die meisten Vergleiche hinken allerdings. Wenn man die Kosten des Instruments ins Feld führt, sollte genau gesagt werden, welche Alternative zum § 16i SGB II günstiger die Teilhabe an Arbeit für Personen herstellt, die in sechs Jahren von sieben Jahren im Leistungsbezugs sind und nur geringe Unterbrechungszeiten durch Erwerbstätigkeit haben.

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Übergewicht? Untergewicht? Eine nicht anerkannte Diskriminierung

Über- oder Untergewicht ist kein anerkanntes Diskriminierungsmerkmal. Und dennoch fühlen sich zahlreiche Menschen aufgrund ihres Gewichts diskriminiert.

Dazu gab es 2019 eine repräsentative Bevölkerungsumfrage* ((Strukturelle) Diskriminierung, Mai 2019. Eine Studie von Kantar, Public Division im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA)). Aus diesen Datensätzen lässt sich das Ausmaß von Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Gewichts genauer bestimmen.

An der Befragung haben 1.060 Personen im Alter von über 18 Jahren teilgenommen**. Von den Befragten erklärten 10,4 %, dass sie persönlich eine Diskriminierung aufgrund ihres Gewichts in den letzten drei Jahren erlebt haben. Dabei sind Frauen (63,4 %) häufiger als Männer (36,6 %) betroffen.

Im Folgenden werden Ergebnisse dieser Befragten genauer betrachtet, die Zahlen wurden vom Autor selbst berechnet.

In zahlreichen Bereichen wird die Diskriminierung erlebt. Als Antwortmöglichkeiten waren möglich: Häufig, Gelegentlich, Selten, Nie, Weiß nicht. Für die nachfolgende Darstellung wurden die Antworten „Häufig, Gelegentlich, Selten“ zusammengefasst. Die Antwortkategorie „Weiß nicht“ kam zweimal zu 7,8 % bzw. 7,7 % vor, ansonsten lagen sie zwischen 0,3 % und 4,9 %, die übrigen Angaben sind demnach „Nie“.

Etwa vier Fünftel der Betroffenen wurden in der Öffentlichkeit, in Geschäften oder im Dienstleistungsbereich oder im Arbeitsleben diskriminiert. Mehr als zwei Drittel fühlten sich nach eigenen Angaben auch schon im Gesundheits- und Pflegebereich, in der Freizeit und bei Ämtern und Behörden diskriminiert. Die Diskriminierung findet in vielen verschiedenen Bereichen im großen Umfang statt.

Lediglich zwei Bereiche wurden von weniger als der Hälfte genannt: der Bildungsbereich und bei der Polizei.

Wenn man lediglich die Antwort „häufig“ heranzieht, dann steht die Diskriminierung im Arbeitsleben an erster Stelle (26,8 % der Betroffenen) und auf dem Wohnungsmarkt an zweiter Stelle (23,9 % der Betroffenen). Offensichtlich gibt es hier wiederholte Benachteiligungen aufgrund des Gewichts.

Bei verschiedenen Dimensionen von Diskriminierungen waren die Antwortmöglichkeiten Ja, Nein, Weiß nicht. Nachfolgend werden die wesentlichen Ja-Antworten zusammengefasst.

Unter den materiellen Benachteiligungen berichtet mehr als die Hälfte der Personen mit Diskriminierungserfahrung, dass ihre Leistungen vergleichsweise schlechter bewertet wurden (61,9 %) und ihnen ein Antrag abgelehnt oder eine Leistung verwehrt wurde, die sie aus subjektiver Sicht hätte bekommen müssen. Annähernd die Hälfte (47,9 %) meint, dass sie weniger Gehalt als andere bei vergleichbarer Tätigkeit erhielten weniger (41,7 %). Rund 18 % der Betroffenen gibt an, wegen des Diskriminierungsmerkmals gekündigt worden zu sein und 34,8 % aufgrund ihres Gewichts nicht eingestellt worden zu sein. Da Gewicht kein Diskriminierungsmerkmal gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist, können die Betroffen hier nicht dagegen vorgehen,

Im Rahmen sozialer Herabwürdigung berichten drei Viertel der Betroffenen von Ausgrenzung, Opfer abwertender Witze und Kommentare und unangebrachten Fragen zum Privatleben. Mehr als der Hälfte wurden Rechte aberkannt, die andere Personen haben (55,3 %) und außerhalb des Internets beleidigt oder beschimpft (62,6 %).

Eine extreme Form von Diskriminierung stellen körperliche Übergriffe und Bedrohungen dar. Drei Zehntel der Betroffenen wurde bereits körperlich bedroht und haben körperliche sexualisierte Übergriffe, wie z.B. ungewollte Berührungen, erlebt. Jede/r sechste Befragte wurde schon einmal körperlich angegriffen (15,9 %).

Weitere Folgen für die Betroffenen sind neben anderen

  • seelische Belastungen (84,7 %),
  • größeres Misstrauen (91,6 %)
  • Frustration (88,0 %)

Wenn man den Anteil der Menschen, die nach der Befragung persönlich eine Diskriminierung aufgrund des Gewichts in den letzten drei Jahren erlebt haben, auf die Bevölkerung Deutschlands im Alter von 18 bis 85 Jahren hochrechnet, dann waren 2019 geschätzt 6,9 Mio. Menschen von einer Diskriminierungserfahrung aufgrund des Gewichts betroffen.

Die Erwartungen an die Politik, etwas gegen Diskriminierung aufgrund des Gewichts zu ändern, sind bei den Betroffenen sehr groß. Aber auch rund 83 % aller Befragten (1.060) meinen, dass die bestehenden Gesetze gegen Diskriminierung besser durchgesetzt werden müssen. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ist zum Thema Gewicht gar nichts zu finden. Für die Betroffenen kann allenfalls der folgende Satz herangezogen werden: „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten.“ Über- und Untergewicht stellen eine Lücke bei der Antidiskriminierung dar, die sehr bald geschlossen werden sollte. Bislang gibt es keine Schutzrechte für Menschen, die aufgrund ihres Gewichtes diskriminiert werden.

*GESIS Datenarchiv, Köln. ZA6735 Datenfile Version 1.0.0, https://doi.org/10.4232/1.13402

**Die absoluten Zahlen sind zur Korrektur der Ausfälle durch Anpassung der Strukturen der Stichprobe an die Strukturen der Grundgesamtheit gewichtet.

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Bürgergeld-Gesetzesentwurf: Einschätzungen

Meine Einschätzung zum Bürgergeld-Gesetz mit den wichtigsten Veränderungen für Träger nun auch zum download (Hammer Bürgergeld-Gesetzesentwurf Einschätzungen aus Trägersicht)

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Bildungs- und Beschäftigungsträger: Entlastung bei Gas und Wärme

Die ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme hat in ihrem Abschlussbericht auch Überlegungen angestellt, ob und wie soziale Dienstleister von Energie- und Wärmekosten entlastet werden können.

Die ExpertInnen-Kommission sieht hier Handlungsbedarf:

„Die Gaspreisbremse führt in ihrer Mechanik dazu, dass die Energiekosten auch für die sozialen Dienstleister (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Reha-Kliniken, Sozialkaufhäuser etc.) 2023 weiter spürbar über den Werten liegen, die Vergütungs- und Kostenerstattungsregelungen der Refinanzierung zugrunde gelegt wurden.
Die kostensenkenden Gaseinsparungen könnten kurzfristig nicht notwendigerweise ohne Angebotseinschränkungen erreicht werden, die gesellschaftlich als nicht vertretbar einzuschätzen sind. Die soziale Infrastruktur, insbesondere auch der Gesundheitseinrichtungen, ist ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge und muss in der Krise abgesichert werden, um die Versorgung der Bevölkerung und insbesondere der vulnerablen Personengruppen sicherzustellen. Langwierige Verhandlungen und Schiedsstellenverfahren um Refinanzierungsmöglichkeiten zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern sollten vermieden werden, um  Liquiditätsengpässe, Insolvenzen und Leistungseinschränkungen wirksam zu verhindern.“

ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme, Abschlussbericht, 31.10.2022, S. 11

Die ExpertInnen-Kommission schlägt zur Problemlösung einen Hilfsfonds soziale Dienstleister vor.

„Der Fonds sollte von den Sozialversicherungsträgern implementiert werden und angemessen ausgestattet sein. Der genaue Betrag ergibt sich aus den Belastungsermittlungen der Sozialversicherungsträger.
Aus dem Fonds werden Kostenträgern der sozialen Daseinsvorsorge die Gaskosten erstattet, abzüglich eines Energiesparbeitrags, die über dem Niveau liegen, das der Leistungsvereinbarung zugrunde lag.
Soziale Dienstleister nehmen verpflichtend an einer kostenlosen Energieberatungsmaßnahme teil, um Möglichkeiten des Energiesparens ohne Leistungseinschränkung zu prüfen.
Auszahlungen aus dem Fonds sollen spätestens ab 1. Januar 2023 erfolgen und die Kostensteigerungen des Winters 2022/2023 (bis April 2024) abdecken. Dabei ist ein realistischer Energiesparbeitrag in Höhe von in der Regel fünf Prozent zu berücksichtigen. Gemeinnützige soziale Einrichtungen können darüber hinaus für die entstandenen Kostensteigerungen des Jahres 2022 einen Jahreszuschuss beantragen, der sich in einfacher und leicht überprüfbarer Weise an der Betriebskostendifferenz zum Vorjahr, abzüglich eines Energiesparbeitrags, orientiert und Mehrbelastungen über die Einmalzahlung hinaus ausgleicht.
Antragsverfahren und Voraussetzungen sind rechtskonform und dabei so schlank wie möglich zu gestalten. Die Möglichkeit nachträglicher Prüfungen und der Verweis auf allgemeine Regeln der sozialrechtlichen Finanzierung sowie des Haushaltsrechts sichern das Verfahren ab.
Die Ausgestaltung des Hilfsfonds erfolgt in einer Verordnung auf der Grundlage von § 26a Abs. 1 Nummer 3 des Gesetzes zur Änderung des Stabilisierungsfondgesetzes zur Reaktivierung und Neuausrichtung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds.
Für einen Kostenausgleich muss gegeben sein:
(1) die Eigenschaft des sozialen Trägers als öffentlich zugelassener und finanzierter Sozialleistungserbringer;
(2) die trägerspezifischen Betriebskostenvergleichszahlen des Vorjahres. Es ist auf ein niedrigschwelliges Antragsverfahren zu achten. Dieses ist auf die digitale Übersendung des Zulassungs- und Leistungsdokuments (z.B. Zuwendungsverträge oder Entgeltverträge) sowie der belegten Betriebskosten des jeweiligen Vorjahres zu reduzieren.
Der Antrag sollte formlos unter Angabe der Kostenausgleichssumme möglich sein. Für soziale Einrichtungen und Dienste, deren Leistungsträger Kommunen und Länder sind, wie z.B. Einrichtungen der Eingliederungshilfe oder der Kinder- und Jugendhilfe empfiehlt die Kommission, dass Länder und Kommunen vergleichbare Fonds einrichten.“

ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme, Abschlussbericht, 31.10.2022, S. 11

Problem bei dieser Vorgehensweise

Das Problem bei diesem Vorschlag ist eine Regelungslücke: Träger des SGB II partizipieren nicht, da das SGB II (im Unterschied zum SGB III) steuerfinanziert und nicht über Sozialversicherungsbeiträge finanziert wird. Bildungs- und Beschäftigungsträger können dann entlastet werden, soweit sie Maßnahmen für die Arbeitsagenturen (Rechtskreis SGB III) umsetzen. Sie werden aber nicht entlastet, wenn sie für die Jobcenter tätig werden – selbst dann nicht, wenn es um rechtlich identische Förderinstrumente geht (z. B. Weiterbildung).

Vorschlag zur Schließung der Regelungslücke
Der Bund hat ein Eckpunkte-Papier erarbeitet, dass diese Vorschläge überwiegend übernimmt. Der Hinweis auf die Länder und Kommunen, führt nicht weiter, da diese Träger beim SGB II Leistungen für den Bund erbringen. Damit bleibt die Lücke erhalten.

Wichtig wäre deshalb zu prüfen, wie die Regelungslücke für Träger, die für das SGB II aktiv sind, geschlossen werden kann.

Vorschlag: Jobcenter werden den Arbeitsagenturen gleich gestellt und erhalten die Möglichkeit über den gleichen Abrechnungsweg (oder einen eigenen) die Bildungs- und Beschäftigungsträger bei Energie- und Wärmekosten zu entlasten, wenn sie für das SGB II Leistungen erbringen.

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Einstiegsqualifizierung sinkt! Fachkräftemangel?

Die Einstiegsqualifizierung ist ein Förderinstrument der Arbeitsförderung (einsetzbar für Arbeitsagenturen und Jobcenter; § 54a SGB III). Arbeitgeber werden bezuschusst, wenn sie ein sozialversicherungspflichtiges Praktikum vergüten. Sie kann für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten gefördert werden. Die betriebliche Einstiegsqualifizierung dient der Vermittlung und Vertiefung von Grundlagen für den Erwerb beruflicher Handlungsfähigkeit. Die vermittelten Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten sind vom Betrieb zu bescheinigen. Die zuständige Stelle stellt über die erfolgreich durchgeführte betriebliche Einstiegsqualifizierung ein Zertifikat aus. Mit dem Zertifikat können TeilnehmerInnen bei der zuständigen Kammer beantragen, dass sich die Dauer der angestrebten Ausbildung verkürzt.

Förderungsfähig sind

  1. bei der Agentur für Arbeit gemeldete Ausbildungsbewerberinnen und -bewerber mit aus individuellen Gründen eingeschränkten Vermittlungsperspektiven, die auch nach den bundesweiten Nachvermittlungsaktionen keine Ausbildungsstelle haben,
  2. Ausbildungsuchende, die noch nicht in vollem Maße über die erforderliche Ausbildungsreife verfügen, und
  3. lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte Ausbildungsuchende.

Entgegen häufiger Darstellungen ist die Einstiegsqualifizierung nicht auf junge Menschen beschränkt – es gibt keine Altersbegrenzung.

Die Entwicklung der geförderten Teilnehmenden zeigt, dass die Zugänge zur Einstiegsqualifizierung seit Jahren abnehmen. Zugangszahlen über 30.000 wurden lediglich in den Jahren 2008 bis 2010 und seitdem nie mehr erzielt (SGB III und SGB II zusammengefasst). In 2021 wurde der Tiefststand erreicht – weniger als 10.000 Personen wurden gefördert (Jahressummen). Für 2022 zeichnet sich ein noch niedrigerer Wert ab (Stand September: rd. 3.300 Zugänge). Seit 2017 gehen die Zahlen kontinuierlich zurück, im Trend seit 2009.

Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (Jahressummen); eigene Darstellung

Die Zunahme um 2017 könnte mit einer Förderung von 2015 ff Zugewanderten zusammenhängen.

Erstaunlich ist, dass Betriebe seit Jahren einen Fachkräftemangel beklagen. Es stellt sich die Frage, weshalb sie die Förderung der Einstiegsqualifizierung immer weniger nutzen.

Durch die Verkürzung der Ausbildungszeit kommen Betriebe schneller an ihre Fachkräfte, wenn sie die Zielgruppe in Betracht ziehen.

„Als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber lernen Sie durch die Einstiegsqualifizierung potenzielle Auszubildende kennen und können sich zukünftige Fachkräfte sichern.“

(Bundesagentur für Arbeit; https://www.arbeitsagentur.de/unternehmen/ausbildungsbetriebe/einstiegsqualifizierung-arbeitgeber).

Schlußfolgerung

Ist die Eingliederungsqualifizierung ein ungeeignetes Förderinstrument? Dann sollte es abgeschafft werden.

Oder ist der Fachkräftemangel noch nicht groß genug, damit das Instrument gebraucht wird?

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Geheimniskrämerei um Erprobung innovativer Ansätze in der Arbeitsförderung

Seit dem 1.1.2009 gibt es im SGB III eine Rechtsgrundlage zur Erprobung innovativer Ansätze. Diese ist seit dem 1.4.2012 in § 135 geregelt, davor in § 421h SGB III (noch weiter zurück gab es ein zunächst ein 250-Mio-Programm, danach ein 750-Mio-Programm, das dann in § 62d AFG auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurde).

Wie die Überschrift des Paragrafen schon sagt, geht es um die Erprobung innovative Ansätze der aktiven Arbeitsförderung – eine Strategie, die angesichts verfestigter Massenarbeitslosigkeit zielführend sein kann.

§ 135 SGB III Erprobung innovativer Ansätze

(1) Die Zentrale der Bundesagentur kann bis zu einem Prozent der im Eingliederungstitel enthaltenen Mittel einsetzen, um innovative Ansätze der aktiven Arbeitsförderung zu erproben. Die einzelnen Projekte dürfen den Höchstbetrag von 2 Millionen Euro jährlich und eine Dauer von 24 Monaten nicht übersteigen.

(2) Die Umsetzung und die Wirkung der Projekte sind zu beobachten und auszuwerten. Über die Ergebnisse der Projekte ist dem Verwaltungsrat nach deren Beendigung ein Bericht vorzulegen. Zu Beginn jedes Jahres übermittelt die Bundesagentur dem Verwaltungsrat eine Übersicht über die laufenden Projekte.

Allerdings berichtet der Bundesagentur für Arbeit nur spärlich über die erprobten Innovationen und ihre Ergebnisse. Das ist verwunderlich, denn solche Innovationen sollten in den Mainstream übergehen und von den Akteuren am Arbeitsmarkt umgesetzt werden. Offensichtlich reicht es auch der Bundesregierung, wenn lediglich der Verwaltungsrat einen (nicht-öffentlichen) Bericht bekommt.

In den Geschäftsberichten seit 2015 der Bundesagentur für Arbeit findet sich entgegen der sonst üblichen Mitteilsamkeit nichts Erhellendes.

Das statistische Material erlaubt lediglich eine oberflächliche Einschätzung über die Größenordnung, in der die Erprobung innovativer Ansätze umgesetzt wird. Nimmt man die Durchschnitte der Jahre 2015 bis 2021, so wurden etwa 400.000 Euro im Jahr verausgabt (2015: Restabwicklung) für rund 100 Geförderte bei etwa 11 Monaten Förderdauer.

Es handelt sich angesichts des BA-Budgets eher um marginale Summen. Das mögliche Fördervolumen wird bei weitem nicht ausgeschöpft.

Im SGB II bietet der § 16f SGB II eine sog. freie Förderung, der ebenfalls kaum angewandt wird. Denn die Formulierung erschwert eine rechtssichere Förderung. Die restriktive Handhabung ist nach der Kreativität der Jobcenter bei der Nutzung der sog. Sonstigen Weiteren Leistungen (früher § 16 Abs. 2 SGB II), die deshalb abgeschafft wurden, gewollt. Den Jobcentern sollte die Förderung von Prozess-, Produkt- und Strukturinnovationen sowie eine weniger restriktive freie Förderung erlaubt werden.

Fazit:

  • Mehr Transparenz!
  • Mehr Innovation wagen!
  • Analoge Regelung – aber ohne Deckelung des Fördervolumens – im SGB II, die § 16f SGB II ablösen könnte.
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