Ist das Deutschengrundrecht noch zeitgemäß?

In Art. 12 des Grundgesetzes (GG) wird ein wichtiges Grundrecht – die Berufsfreiheit – garantiert:

Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.

Art. 12 (1) Grundgesetz

Im Unterschied zu anderen Grundrechten schützt dieses nur „Deutsche“, weshalb es auch in der Literatur als sogenanntes „Deutschengrundrecht“ bezeichnet wird.

Diese Begrenzung auf die deutsche Staatsangehörigkeit ist kritisch zu betrachten, da sie Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit vom Schutz der Berufsfreiheit ausnimmt.

EU-UnionsbürgerInnen stehen aufgrund der Grundfreiheiten des EU-Rechts in einer der Berufsfreiheit angenäherte Rechtsstellung. Für Drittstaatsangehörige gilt dies jedoch nicht, sie sind vom Schutz durch Art. 122 GG ausgeschlossen. Sie können sich lediglich auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG berufen.

Das „Deutschengrundrecht“ steht somit im Widerspruch, zumindest in einem Spannungsverhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz.

Unabhängig davon ist angesichts

  • einer globalisierten Arbeitswelt,
  • der Absicht Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben und
  • dem Ziel nach Deutschland zugewanderte Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren oder, wie beim Job-Turbo für Flüchtlinge, diese zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu bringen,

die Begrenzung des Schutzes der Berufsfreiheit auf deutsche Staatsangehörige nicht mehr zeitgemäß.

Eine einfache Änderung könnte darin bestehen, „alle Deutschen“ mit „alle Personen“ zu ersetzen. 75 Jahre Grundgesetz wären ein Anlaß.

Veröffentlicht unter Arbeitsmarkt | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Ist das Deutschengrundrecht noch zeitgemäß?

Bildungsstruktur ukrainischer Flüchtlinge im SGB II

Mit Beginn der Ankunft der ersten Flüchtlinge aus der Ukraine wurde von Politik und Medien der hohe Anteil der akademischen Bildung unter ihnen hervorgehoben.

Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) hatte im Zeitraum März 2022 bis März 2024 keine Daten für die Merkmale letzte abgeschlossene Berufsausbildung und Schulbildung berichtet. Grund dafür war der hohe Anteil unvollständiger Angaben für ukrainische Staatsangehörige, der die Aussagekraft der Statistik eingeschränkt hätte.

Im April 2024 wurde die Berichterstattung zur Bildung wieder aufgenommen. Im Folgenden werden nur zwei Verteilungen nach dieser Statistik dargestellt: die der allgemeinen und die der beruflichen Bildung.

Weiterlesen
Veröffentlicht unter Arbeitsmarkt, Flüchtlinge, SGB II, Sprache | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Bildungsstruktur ukrainischer Flüchtlinge im SGB II

Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium und rehapro: Publikation

Nach das 33. Rehabilitationswissenschaftliche Kolloquium zu Ende ist, wurde inzwischen der TAGUNGSBAND dazu bereitgestellt. Alle Abstracts der Vorträge sind im Tagungsband zum Kongress als zitierfähige Publikation veröffentlicht worden. Darunter sind auch alle Vorträge aus den Workshops zu den rehapro-Projekten. Der Tagungsband bietet eine Quelle an interessanten Ergebnissen aus der aktuellen Forschung und Praxis.

Unter folgendem Link gelangen Sie zum Tagungsband: Tagungsband Reha Kolloq 2024

Veröffentlicht unter Gesundheit, Reha, SGB II | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium und rehapro: Publikation

Kunst und Beschäftigungsförderung

Mitte April treffe ich in Bremen eine Künstlerin um wieder einmal zu schauen, wie Kunst in der Beschäftigungsförderung eingesetzt werden kann. Das Thema ist wenig populär. Dazu habe ich 2006 ein kleines Buch veröffentlicht („Kultur, Kunst und Medien – Beschäftigungsförderung im kulturellen Sektor, Östringen“) sowie 2019 einen Artikel (Kunst und Kultur im Übergang von Schule und Beruf. In: Forum Arbeit 2/2010, S. 21-23). Diesmal geht es mir um die Gestaltung von Objekten aus alten Büchern. Inzwischen sind alte Bücher kaum noch zu verkaufen bzw. der Aufwand ist dafür zu hoch. Wieso hier nicht künstlerisch diese Materialien nutzen, z. B. für eine Skulptur?

Veröffentlicht unter Arbeitsgelegenheit | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Kunst und Beschäftigungsförderung

Ist Teilhabe am Arbeitsmarkt (zu) teuer?

Die Planungen des Bundeshaushalts, insbesondere des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, für die Jahre 2024 und 2025 haben bei den Akteuren Jobcenter, Träger und Verbände zu lebhaften Diskussionen geführt. Die Jobcenter gehen davon aus, dass die Mittel für Eingliederungsleistungen gekürzt oder zumindest nicht erhöht werden (s. auch). In der Folge wurde und wird der Instrumenteneinsatz anders priorisiert. In diesem Zusammenhang ist immer wieder zu hören, dass das Förderinstrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ nach § 16i SGB II zu teuer sei. Damit wird die Teilhabe von Langzeitleistungsbeziehenden gefördert, die in der Regel innerhalb der letzten sieben Jahren sechs Jahre Arbeitslosengeld II/Bürgergeld bezogen haben, unabhängig davon, ob sie arbeitslos waren oder nicht (s. Teilhabechancengesetz).

Weil dieses Instrument zu teuer sei, werden von Jobcentern Neubewilligungen ganz ausgesetzt oder nur noch Nachbesetzungen vorgenommen. Teams, die für die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ zuständig waren, wurden mancherorts aufgelöst.

Nun stellt sich die Frage, was „zu teuer“ konkret bedeutet. Die Antwort ist nur im Vergleich mit anderen Instrumenten möglich. Der nächste Vergleich bietet sich mit den Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II (s. Arbeitsgelegenheiten) an, da beide Instrumente zu den beschäftigungsschaffenden Instrumenten gezählt werden. Der Vergleich wird nachfolgend anhand einer Überschlagsrechnung vorgenommen.

Die Ausgaben für Arbeitsgelegenheiten pro Förderung und Monat betrugen im Jahr 2022 laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit 619 Euro (Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit).

Bei der Teilhabe am Arbeitsmarkt lag dieser Betrag bei 1.371 Euro (Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit).

Bei der Förderung der Teilhabe am Arbeitsmarkt kann jedoch der Passiv-Aktiv-Transfer (PAT) zum Tragen kommen. D. h. für jeden Fördermonat kann das Jobcenter für einen Alleinstehenden 800 Euro pro Monat und Förderung wieder „einnehmen“ und damit das Budget für Eingliederungsleistungen erhöhen. Für andere Konstellationen von Bedarfsgemeinschaften (z. B. mehr als eine Person) betragen die Pauschalen 1.000 Euro bzw. 1.100 Euro (Pauschalen ab 2023).

Beispielrechnung für den § 16i SGB II:

Ein Arbeitgeber beantragt für ein Beschäftigungsverhältnis von 20 Wochenstunden und einem Mindestlohn von rund 12,50 Euro eine 100 %-ige Förderung. Das ergibt für einen Monat einen Betrag von 1.310 Euro, einschließlich Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitgebers. Dies ist vom Jobcenter aus dem Eingliederungstitel (EGT) zu finanzieren.

Nun kann das Jobcenter eine PAT-Pauschale geltend machen, die aus den Passivleistungen in den EGT gebucht wird. Wird diese Pauschale für die Finanzierung der Ausgaben von § 16i SGB II herangezogen, sinkt der Netto-Aufwand für § 16i SGB II. Bei einer PAT-Pauschale von 800 Euro beträgt der Aufwand für einen Monat Förderung des vorgenannten Beispiels auf 510 Euro. Ist die Stundenzahl höher als 20 Wochenstunden oder der Lohn höher als der Mindestlohn, dann ist der Netto-Aufwand entsprechend höher. Dabei wird kein EGT oder Ausgaben gespart, sondern die Einnahmen des Jobcenters werden erhöht (EGT+PAT).

In einem solchen Vergleich sind im durchschnittlichen Netto-Ausgaben für die Förderung von Teilhabe am Arbeitsmarkt geringer für als eine Arbeitsgelegenheit. Die Behauptung, dass Teilhabe am Arbeitsmarkt (zu) teuer sei, trifft nicht zu. Dieses Ergebnis könnte bei der Priorisierung des Instrumenteneinsatzes von den Jobcentern stärker berücksichtigt werden.

Rechnet man den PAT zu den Ausgaben dazu, dann liegt der Durchschnitt der Ist-Kosten für § 16i SGB II im Jahr 2022 bei rund 1.900 Euro im Monat und TeilnehmerIn bei den gemeinsamen Einrichtungen. Bei dieser Sichtweise ist § 16i SGB II rund drei mal so hoch als eine Arbeitsgelegenheit. Aber auch bei dieser Darstellungsweise lassen sich die Ausgaben senken, wenn man die Wochenstundenzahl reduzieren würde.

Die Förderdauer bei § 16i SGB II könnte noch als Argument gegen ihren Einsatz angeführt werden. Aber auch Arbeitsgelegenheiten und andere Instrumente können bis zu drei Jahre gefördert werden.

Aufgrund von Rückmeldungen wurde der Beitrag am 26.4.24 überarbeitet.

Veröffentlicht unter Arbeitsgelegenheit, Bürgergeld, SGB II, Soziale Teilhabe, Teilhabechancengesetz | Verschlagwortet mit , , , , , | Kommentare deaktiviert für Ist Teilhabe am Arbeitsmarkt (zu) teuer?

Zusätzlichkeit der Arbeitsgelegenheiten wurde gestrichen

Mit dem sog. Rückführungsverbesserungsgesetz (Gesetz zur Verbesserung der Rückführung) wurde die Zusätzlichkeit einer Arbeit als Voraussetzung für eine Förderung bei Asyl-Arbeitsgelegenheiten (Asyl-AGH) gestrichen.

Das Gesetz wurde am 26.2.2042 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und trat am 27.2.204 in Kraft.

Die Streichung der Zusätzlichkeit war im Gesetzesentwurf noch nicht vorgesehen (s. Wegfall der Zusätzlichkeit für mehr Pflichtarbeit für Flüchtlinge). Sie kam erst aufgrund einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat (Drucksache 20/10090, 17.01.2024 ) zur Beschlussfassung.

Bisher war bei Asyl-AGH Zusätzlichkeit erforderlich und § 5 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) besagte, dass die zu leistende Arbeit, zu der AsylbLG-Berechtigte verpflichtet werden konnten, sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden durfte (s. Pflichtarbeit für Asylbewerber? Gibt es schon und 25 Jahre Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – Entwicklung 1994 bis 2019 )

Neu eingefügt in die Rechtsgrundlage wurde stattdessen das schwächere Kriterium, dass das Ergebnis Arbeit der Allgemeinheit zukommen sollte.

Entgegen der Berichterstattung in den Medien handelt es sich weder bisher noch künftig um eine gemeinnützige Arbeit. Eine solche gibt es bereits mit dem Ende des Bundessozialhilfegesetzes nicht mehr. Dass eine Arbeit der Allgemeinheit zukommen sollte, ist unter anderem bei Zivildiensttätigkeiten als Ersatzdienst ein Kriterium. Das Kriterium der Allgemeinheit bedingt nicht, dass die Organisation gemeinnützig sein muss.

Die neue Fassung des Absatz 1 des § 5 AsylbLG lautet

(1) In Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und in vergleichbaren Einrichtungen sollen Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden; von der Bereitstellung dieser Arbeitsgelegenheiten unberührt bleibt die Verpflichtung der Leistungsberechtigten, Tätigkeiten der Selbstversorgung zu erledigen. Im Übrigen sollen soweit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient.

In der Beschlussempfehlung des Ausschusses steht, dass mit dem neu aufgenommenen Kriterium, dass das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dienen muss, eine Abgrenzung der Arbeitsgelegenheit von einem regulären Arbeit- und Beschäftigungsverhältnis sichergestellt wird.

Weiter wird hervorgehoben, dass privatwirtschaftliche Unternehmen von der Umsetzung der AGH ausgeschlossen wären („Der Einsatz von Arbeitsgelegenheiten bei privatwirtschaftlichen Unternehmen bleibt ausgeschlossen.“). Allerdings zählen auch gemeinnützige Wohlfahrtsverbände zu privatwirtschaftlichen Unternehmungen. Der Ausschluss von privatwirtschaftliche Unternehmungen, die gewinnorientiert arbeiten, ergibt sich nur aus der Aufzählung „staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern“.

Diese bisherige Fördervoraussetzung Zusätzlichkeit wurde bereits vor rund 100 Jahren eingeführt (s. Wegfall der Zusätzlichkeit für mehr Pflichtarbeit für Flüchtlinge). Hintergrund war enordnungspolitische Befürchtungen von negativen Effekten auf Unternehmen (Wettbewerbsverzerrung, Subsistenz- und Mitnahmeeffekte; s. Wegfall der Zusätzlichkeit für mehr Pflichtarbeit für Flüchtlinge). In diesem Kontext wunden auch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), für die dieses Kriterium auch galt, abgeschafft. Mit der neuen Formulierung werden diese Probleme nicht vermieden, sie werden mit dem Verzicht auf die Zusätzlichkeit eher größer.

Wurde von der Bundesregierung und den Bundesländern im November 2024 die Streichung noch mit der Reduzierung des Prüfwands (der ja auf den Schutzmechanismus hinweist) der AGH erklärt, so ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses hier offener: „Die Anpassung soll den das AsylbLG durchführenden Ländern und Kommunen ermöglichen, die nach dem AsylbLG bestehenden Regelungen zu Arbeitsgelegenheiten in breiterem Maße zu nutzen.“ Die Änderungen wurden also vorgenommen um eine größere Zahl von AsylbLG-Berechtigten zur Arbeit zu verpflichten zu können.

Dies wäre mit dem strengeren Knierum der Zusätzlichkeit schwierig geworden. Dabei ist auch bei der Frage der Allgemeinheit ein Prüfaufwand gegeben.

Die Bundesregierung hat möglicherweise zusammen mit den Bundesländern populistischer Meinungsmache nachgegeben und selbst übernommen. Die alten Probleme bleiben, lediglich die Schläuche sind neu.

Es ist lediglich eine Frage der Zeit, bis Firmen, z. B. aus dem Bereich Garten-Landschaftsbau, sich beschweren, dass sie bestimmte Aufträge im Grünflächenbereich der Kommunen nicht mehr bekommen, da diese Asyl-AGH kostengünstig einsetzen. Dann kommt der Vorwurf, dass Flüchtlinge den hiesigen Arbeitenden oder Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Darauf ist vermutlich wieder mit einer populistischen Reaktion zu rechnen.

Das Kriterium der Zusätzlichkeit bei AGH im SGB II existiert im übrigen im SGB II weiter fort. Es wird konsequenterweise auch hier gestrichen werden müssen. Oder es ist auch dies dem Populismus folgend gewollt, um mehr als bisher Bürgergeldbeziehende zur Arbeit zu verpflichten (so z. B. CDU fordert Arbeitspflicht). Dagegen hat es viele Studien gegeben, die den AGH im SGB II eine Wettbewerbsverzerrung und einen sog. Lock-in-Effekt zuschrieben. Mit lock in-Effekt ist gemeint, dass sich die AGH-Teilnehmende nicht mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bewerben, wenn sie länger in AGH sind, was dann die Reduktion der Transferleistungen behindern soll. Und bis jetzt gibt es auch keine Überlegungen, ob und wie gut die AGH im AsylbLG eine Arbeitsintegration fördern.

Das Problem ist weniger, ob die AsylbLG-Berechtigten arbeiten oder nicht – wenn man will, dass sie arbeiten, gibt man ihnen einfachsten die Arbeitserlaubnis. Das Problem ist eher, das der Demokratie verpflichtete Parteien nationalvölkische Narrative übernehmen.

Veröffentlicht unter Arbeitsgelegenheit, Arbeitsmarkt, AsylbLG, Bürgergeld, Flüchtlinge, Ökonomie, SGB II | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Zusätzlichkeit der Arbeitsgelegenheiten wurde gestrichen

Digitale Kompetenzen von Arbeitslosen und ihre Feststellung (Buchbeitrag)

Ein Ergebnis meiner Studie zum Digitalen Empowerment ist nun als Buchbeitrag veröffentlicht worden:

Digitale Kompetenzen von Arbeitslosen und ihre Feststellung. In: Beck, Henkes, Terry (Hrsg.) 2024: Moderne Verwaltung und ihre gesellschaftliche Entwicklung – Interdisziplinäre Perspektiven für angewandte Lehre, Weiterbildung und Forschung, S. 315-328. Baden-Baden.

In dem Beitrag stelle ich ein von mir entwickeltes und erprobtes Verfahren „DSTAF – Digitale Skills Teilnehmender von Arbeitsförderungsmaßnahmen“ dar. Mit DSTAF können digitale Kompetenzen von Arbeitslosen bzw. Arbeitsuchenden in deutscher Sprache gemessen werden. Es orientiert sich am EU-Framework des DigComp, ist allerdings auf die Zielgruppe angepasst (z. B. Sprachanforderung). Ähnlich misst DSTAF Kompetenzbereiche (z. B. Information and data literacy) und Kompetenzstufen (z. B. Foundation)

Zum Verlag: https://kurzelinks.de/rivk

Veröffentlicht unter Arbeitsmarkt, Digitalisierung, SGB II | Verschlagwortet mit , , , | Kommentare deaktiviert für Digitale Kompetenzen von Arbeitslosen und ihre Feststellung (Buchbeitrag)

Diskriminierung von Frauen, trotz Frauentag

Zahlreiche Menschen fühlen sich diskriminiert, darunter Frauen häufiger als Männer.

Zu Diskriminierung gab es 2019 eine repräsentative Bevölkerungsumfrage („(Strukturelle) Diskriminierung, Mai 2019. Eine Studie von Kantar, Public Division im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA)“). Aus diesen Datensätzen* lässt sich das Ausmaß von Diskriminierung von Menschen genauer bestimmen.

An der Befragung haben 1.060 Personen im Alter von über 18 Jahren teilgenommen (Die absoluten Zahlen sind zur Korrektur der Ausfälle durch Anpassung der Strukturen der Stichprobe an die Strukturen der Grundgesamtheit gewichtet.).

Von den Befragten erklärten 20,1 %, dass sie persönlich eine Diskriminierung in den letzten drei Jahren erlebt haben. Dabei sind Frauen (21,7 %) häufiger als Männer (18,5 %) betroffen.

Im Folgenden werden Ergebnisse der befragten Frauen sowohl mit als auch ohne Diskriminierungserfahrung genauer betrachtet.

In zahlreichen Bereichen wird die Diskriminierung erlebt. Als Antwortmöglichkeiten waren möglich: Häufig, Gelegentlich, Selten, Nie, Weiß nicht. Für die nachfolgende Darstellung wurden die Antworten „Häufig, Gelegentlich“ zusammengefasst. Die Antwortkategorie „Weiß nicht“ kam nicht so häufig vor, die übrigen Angaben sind demnach „Nie“.

Etwa ein Viertel der Frauen wurde im Arbeitsleben und ein Fünftel auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert. Die Diskriminierung findet in vielen verschiedenen Bereichen im großen Umfang statt.

Bei verschiedenen Dimensionen von Diskriminierungen waren die Antwortmöglichkeiten Ja, Nein, Weiß nicht. Nachfolgend werden die wesentlichen Ja-Antworten zusammengefasst.

Unter den materiellen Benachteiligungen berichtet fast die Hälfte der Frauen, dass ihnen ein Antrag abgelehnt oder eine Leistung verwehrt (48,5 %) wurde und ihre Leistungen vergleichsweise schlechter bewertet wurden (48,1 %), die sie aus subjektiver Sicht hätte bekommen müssen. Annähernd die Hälfte (45,1 %) meint, dass sie weniger Gehalt als andere bei vergleichbarer Tätigkeit erhielten.

Im Rahmen sozialer Herabwürdigung berichten fast zwei Drittel der Frauen von Ausgrenzung, und unangebrachten Fragen zum Privatleben (je 64,3 %). Und drei Fünftel waren Opfer abwertender Witze und Kommentare (60,3 %).

Eine extreme Form von Diskriminierung stellen körperliche Übergriffe und Bedrohungen dar. Drei Zehntel der Frauen haben körperliche sexualisierte Übergriffe wie z. B. ungewollte Berührungen erlebt (29,6 %).

Die Erwartungen der befragten Frauen an die Politik, etwas gegen Diskriminierung (gleich aus welchem Grund zu ändern), sind sehr groß. Am häufigsten genannten wurde,

  • mehr Aufmerksamkeit für das Thema Diskriminierung in Schulen und Bildungseinrichtungen (91,1 %),
  • dass die bestehenden Gesetze gegen Diskriminierung besser durchgesetzt werden müssen (88,1 %),
  • mehr über das Recht auf Gleichbehandlung informieren (87,8 %).

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP steht „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden wir evaluieren, Schutzlücken schließen, den Rechtsschutz verbessern und den Anwendungsbereich ausweiten.“

Millionen in der Bevölkerung sind von Diskriminierung betroffen und erwarten Aktivitäten der Politik zur Verbesserung der Situation.

*GESIS Datenarchiv, Köln. ZA6735 Datenfile Version 1.0.0, https://doi.org/10.4232/1.13402

Veröffentlicht unter Arbeitsmarkt, Gesundheit, Ökonomie | Verschlagwortet mit , , , , , , , , , , , , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Diskriminierung von Frauen, trotz Frauentag

Vortrag bei 2. Fachkonferenz rehapro „Soziale Innovationen für die Teilhabe am Arbeitsleben“

Am 14. und 15.03.2024 findet in Duisburg die 2. Fachkonferenz rehapro „Soziale Innovationen für die Teilhabe am Arbeitsleben“ statt. Das Programm bietet neben Plena-Vorträgen je 2-3 Vorträge in 16 streams rund um das Thema „Soziale Innovationen für die Teilhabe am Arbeitsleben“.

Am 15.3.24 werde ich Ergebnisse aus einer Evaluation eines rehapro-Projektes vorstellen. Mein Schwerpunkt ist die Analyse der Befragung von Arbeitslosen/Teilnehmenden zur Verbesserung ihrer gesundheitlichen Situation. Dazu werde ich sowohl Empfehlungen für Jobcenter und Träger geben können als auch Hinweise auf weiteren Forschungsbedarf.

Die Präsentation der Ergebnisse der laufenden rehapro-Projekte durch ihre Evaluator*innen ist nützlich für die kommende neue Förderrunde, die für rehapro im Frühjahr 2024 erwartet wird.

Veröffentlicht unter Arbeitsmarkt, Gesundheit, Reha, SGB II, Soziale Teilhabe | Verschlagwortet mit , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Vortrag bei 2. Fachkonferenz rehapro „Soziale Innovationen für die Teilhabe am Arbeitsleben“

Wegfall der Zusätzlichkeit für mehr Pflichtarbeit für Flüchtlinge

Der Bund und die Länder wollen die „Pflichtarbeit“ für Flüchtlinge ausweiten. Dies gilt auch für Flüchtlinge, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beziehen.

„Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschef der Länder sind der Auffassung, dass die bestehenden Regelungen zu Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in breiterem Maße genutzt werden sollten. Die bestehenden Regelungen zur „Zusätzlichkeit“ der Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen gestrichen werden. Die im Asylbewerberleistungsgesetz vorgesehenen Mitwirkungspflichten müssen effektiver durchgesetzt werden.“

(Protokoll der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 6. November 2023)

Im Asylbewerberleistungsgesetz können nach § 5 Flüchtlinge zu einer zumutbaren Arbeit im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit (AGH) sanktionsbewehrt verpflichtet werden (s. Hammer: Pflichtarbeit für Asylbewerber? Gibt es schon.).

§ 5 (1) In Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44 des Asylgesetzes und in vergleichbaren Einrichtungen sollen Arbeitsgelegenheiten insbesondere zur Aufrechterhaltung und Betreibung der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden; von der Bereitstellung dieser Arbeitsgelegenheiten unberührt bleibt die Verpflichtung der Leistungsberechtigten, Tätigkeiten der Selbstversorgung zu erledigen. Im übrigen sollen soweit wie möglich Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, bei kommunalen und bei gemeinnützigen Trägern zur Verfügung gestellt werden, sofern die zu leistende Arbeit sonst nicht, nicht in diesem Umfang oder nicht zu diesem Zeitpunkt verrichtet werden würde.

§ 5 (4) Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet. Bei unbegründeter Ablehnung einer solchen Tätigkeit besteht nur Anspruch auf Leistungen entsprechend § 1a Absatz 1. Der Leistungsberechtigte ist vorher entsprechend zu belehren.

Hervorhebung: AH

Bisher wurde diese Rechtsgrundlage kaum genutzt, weil die AGH kommunal finanziert werden müssen (s. Hammer: 25 Jahre Arbeitsgelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – Entwicklung 1994 bis 2019). Andere Wege wie die Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen von 2016 bis 2020 waren erfolglos und wurden dem Vergessen anheimgegeben (Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen 2016-2020: eine Fehleinschätzung?)

Voraussetzung einer AGH ist unter anderem, dass diese AGH „zusätzlich“ sind. Das Kriterium der Zusätzlichkeit soll sicherstellen, dass Arbeiten in einer AGH nur dann finanziell gefördert und durchgeführt werden, wenn sie ohne die Förderung nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden (s. auch Umfang zusätzlicher Arbeiten in der Arbeitsmarktförderung 2015 und 2016).

Um die beschlossene verstärkte Arbeitsverpflichtung auch durchsetzen zu können, braucht es mehr Arbeit, die von Flüchtlingen erledigt werden kann. Das Kriterium Zusätzlichkeit ist dabei eher hinderlich. Die Bundesregierung plant nun für Anfang 2024, dass das Kriterium der Zusätzlichkeit in § 5 AsylbLG als Anforderung künftig entfällt.

Als Argument für die Streichung dieses Kriteriums führt der Bund allerdings den damit verbundenen hohen Prüfaufwand für die Behörden an.

Ohne dieses Kriterium könnten AsylbLG-Berechtigte jede Art von Arbeit (auch Pflichtarbeiten wie eine Verkehrssicherungspflicht) bei staatlichen, kommunalen und gemeinnützigen Trägern verrichten. Vorstellbar ist, dass der Bund auch Arbeitgeber der gewinnorientierten Privatwirtschaft zulässt, was je nach Interpretation des § 5 AsylbLG bereits auch jetzt schon möglich sein könnte.

Bereits 1927 wurde die Zusätzlichkeit geregelt:

§ 91 (2) Den Arbeitslosen dürfen nur solche Arbeiten zugewiesen werden, die 1. sonst überhaupt nicht oder nicht zu dieser Zeit oder nicht in diesem Umfange ausgeführt werden würden,…“

(Gesetz über Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 16. Juli 1927)

Dabei handelte es sich in der Regel allerdings um eine befristete sozialversicherte Beschäftigung bei Kommunalverwaltungen (ähnlich wie ABM oder AGH in der Entgeltvariante). Während der Wirtschaftskrise in den 1920ern fand erstmals in großem Umfang die Heranziehung von Fürsorgeempfänger*innen zur viel billigeren Fürsorgepflichtarbeit statt, die durch „Anweisung angemessener Arbeit gemeinnütziger Art“ keinen Arbeitsvertrag begründete und eine Mehraufwandszahlung für die Arbeitslosen vorsah (so geregelt in § 19 Reichsfürsorgepflichtverordnung von 1924 – also vor genau 100 Jahren; ähnlich wie AGH mit Mehraufwand im SGB II und AsylblG).

Die Anforderung der Gemeinnützigkeit der Arbeit ging mit dem Ende des Bundessozialhilfegesetzes 2004 verloren. Dieses Kriterium ist seitdem weder im SGB II noch im AsylbLG eine Anforderung an die zu verrichtenden Arbeiten.

Der Wegfall des Kriteriums der „Zusätzlichkeit“ könnte zu negativen, ordnungspolitischen Effekten auf dem Arbeitsmarkt oder bei Unternehmen führen:

  • Verdrängungseffekte, zulasten von Unternehmen, wenn ein Unternehmen mit einem Träger konkurriert, welcher günstige AGH-Kräfte einsetzen kann
  • Substitution von Arbeitsplätzen, wenn versicherungspflichtige Arbeitsplätze in mehrere Asyl-AGH umgewandelt werden würden,
  • Mitnahmeeffekte, wenn Lohnkosten eingespart werden würden, die man auch sonst erbracht hätte.
  • Umsetzung von Pflichtarbeiten bei Kommunen durch AGH stellt eine Kombination dieser Effekte dar.

Diese ordnungspolitischen Gefahren sind aktuell durch das Kriterium der Zusätzlichkeit im AsylbLG (noch) stark minimiert. Solange das Kriterium existiert, wird es in der Regel auch kontrolliert. Bislang entfiel das Kriterium der Zusätzlichkeit allenfalls bei Arbeiten, die mit einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag verbunden waren.

Im SGB II besteht eine restriktivere Handhabung der AGH (§16d SGB II), da neben der Zusätzlichkeit weitere Kriterien (Wettbewerbsneutralität, öffentliches Interesse) gelten (s. Zusätzlichkeit im Einsatz von Asylbewerbenden im Borkenkäfermonitoring). Diese Restriktionen wurden seit der Einführung des SGB II verschärft, eben aus vorgenannten ordnungspolitischen Überlegungen.

Sollte das Kriterium der Zusätzlichkeit für AGH im AsylbLG fallen, dann müsste das analog auch für die AGH im SGB II gelten.

In jedem Fall sollte vorher überlegt werden, ob und wie gut die AGH im AsylbLG eine Arbeitsintegration fördern.

Literatur

Hammer, Andreas: Zusätzlichkeit, Wettbewerbsneutralität und öffentliches Interesse. In: Forum Arbeit, Nr. 4/2016, S. 16-19

Hammer, Andreas: Arbeitsgelegenheiten 2010: Ergebnisse einer Befragung von am Markt arbeitenden Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen. In: Forum Arbeit 3/2010, S. 34-37

Hammer, Andreas: Ergebnisse der Befragung von am Markt arbeitenden Beschäftigungs- und Qualifizierungsunternehmen zu AGH-MAE und zur freien Förderung. In: Forum Arbeit 2/2009, S. 15-19

Veröffentlicht unter Arbeitsgelegenheit, Arbeitsmarkt, AsylbLG, Flüchtlinge, SGB II | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Wegfall der Zusätzlichkeit für mehr Pflichtarbeit für Flüchtlinge